11. April 2023

(Fast) Agile ERP-Einführung bei einem Entsorgungsunternehmen

Unser mittelständischer Entsorgungskunde nutzte seit seiner Ausgliederung aus dem kommunalen Mutterunternehmen noch dessen SAP-Lösung. Allerdings war diese Lösung nicht für die Bedürfnisse eines privat agierenden Entsorgers geeignet. Während ein kommunaler Entsorger nach einer Satzung arbeitet und auch für bestimmte Leistungen Gebühren erhebt, gibt es im privaten Bereich viel mehr Handlungsspielräume was den Aufbau der Leistungen/Preise und Abrechnungen angeht. Daher hat sich der Entsorger entschieden, eine eigene ERP-Lösung einzuführen. Glasholz unterstützte bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit der identifizierten neuen ERP-Lösung, um die Entscheidungsfindung beim Mutterunternehmen herbeizuführen. Hierzu wurde eine ROI-Analyse durchgeführt und der Business Case über einen Betrachtungszeitraum von 10 Jahren aufgestellt.

Die Herausforderung – wie machen wir es?

Nach der positiven Entscheidung für das Projekt und die ERP-Lösung, wurden wir für die Einführungsphase beauftragt, die Projektorganisation aufzustellen und gemeinsam mit dem ausgewählten ERP-Anbieter eine Projektplanung zu erstellen und die Umsetzungsphase im Projektmanagement zu begleiten. Der ERP-Anbieter arbeitete bereits bei der Umsetzung der Anforderungen intern in einem agilen Verfahren mit Sprints übergreifend über alle seine Einführungsprojekte. Daher stellte sich die Frage, wie wir das Projekt aufsetzen, um sinnvoll mit dieser Rahmenbedingung arbeiten zu können und dabei effektiv sowie effizient zu sein. Eine Einführung vollständig nach SCRUM, wo in jedem Sprint ein eigenes funktionsfähiges Produktinkrement entsteht, kam für das Projekt nicht infrage. Zudem wünschte sich die Geschäftsführung in einem gewissen Umfang Planungssicherheit, und zwar in Form von Meilensteinen. Ein klassisches Umsetzungsmodell mit Konzeptions- Umsetzungs- und Testphase war auch keine Option. Entstanden ist daraus ein Stufenmodell, das Elemente aus agilem Vorgehen und des klassischen Projektmanagements (siehe Bild rechts) miteinander vereint. 

Die erste Umsetzungsstufe bildete dabei die einfachste Version des Hauptgeschäftsprozesses des Entsorgers. In diesem Fall war das die turnusmäßige Leerung von Müllbehältern im Umleerverfahren. Ziel war es, so schnell wie möglich die Key-User an das neue ERP-System zu bekommen und einen kompletten Geschäftsprozess von Anfang bis Ende im System abzubilden. Um die Komplexität weiter zu reduzieren, wurde zu Beginn die Tourenplanung, Abrechnung von Leistungen über Duale Systeme, Entsorgungsnachweise sowie das Controlling ausgeblendet. Erst in den folgenden Umsetzungsstufen wurde die Komplexität Schritt für Schritt erhöht. Das heißt, es wurden weitere Kundengruppen (bspw. Gewerbetreibende, Eigentümergemeinschaften) als auch weitere Abfall- und Entsorgungsarten, wie beispielsweise Glas oder gefährliche Abfälle, hinzugefügt. Auch die in den ersten Stufen nicht berücksichtigten Prozessschritte wurden im weiteren Verlauf in die Umsetzung mit aufgenommen. Insgesamt wurden sieben Stufen gebildet und sukzessive umgesetzt. Diese Stufen bildeten die Meilensteine im Projekt und wurden auf der Zeitleiste mit Terminen geplant. Innerhalb der jeweiligen Stufen wurde agil gearbeitet: Die Prozesse wurden initial besprochen, ein Backlog gebildet und die Anforderungen in den Sprints des Anbieters umgesetzt. Alle drei Wochen wurden Umsetzungen ausgeliefert und konnten von den Key-Usern getestet werden. Parallel zur Umsetzung fanden vertiefende Workshops und weitere Verfeinerungen der Prozesse in der jeweiligen Stufe statt. Nach Abschluss der jeweiligen Stufe wurde die nächste Umsetzungsstufe nach dem gleichen Muster bearbeitet. Mit Hinblick auf die Produktivsetzung wurden neben Migrationstests- und Integrationstests auch Schulungen geplant und durchgeführt. 

Was lief gut und was nicht so gut

Die Vorteile dieses Vorgehens zeigten sich recht schnell. Die Key-User haben über den gesamten Projektverlauf am System gearbeitet. Konzeptarbeit und Testen wechselten sich ab. Durch die Betrachtung einfacher Prozesse zu Beginn, konnte das Gefühl der Überforderung bei den Key-Usern vermieden werden. Im Projektverlauf stieg die Sicherheit im Umgang mit dem System, die Kenntnisse der Möglichkeiten und die Komplexität der Prozesse. In der Schulungsphase für die Mitarbeiter waren die Key-User bereits richtige Experten im System. Diese Arbeitsweise bietet auch die Möglichkeit, verschiedene Lösungsansätze für eine Problemstellung zu evaluieren. Durch die kurzen Zyklen wird schnell klar, wenn eine Idee nicht funktioniert. In klassischen Projekten fällt dies mitunter erst nach Monaten auf. 

Aber auch die Schattenseiten eines solchen Vorgehens sollten nicht außer Acht gelassen werden. Die Fokussierung auf einfache Prozesse zu Beginn kann dazu führen, dass im späteren Verlauf Konfigurationen sowie bereits umgesetzte Entwicklungsarbeit mehrfach angepasst und ggf. komplett neu durchdacht werden müssen. Auch das ist in diesem Projekt passiert und kann zu Verzögerungen führen. Der Aufwand für Tests ist in dieser Form der Projektarbeit um ein Vielfaches höher als in einem eher klassischen Vorgehen. Das heißt, die Key-User waren intensiver in das Projekt eingebunden als das bei anderen Projektformen der Fall ist. Nicht jedes Unternehmen hat die Kapazität, Mitarbeiter über einen langen Zeitraum kontinuierlich freizustellen. Durch die fixen 3-wöchigen Sprints des Anbieters, die die Entwicklungen aller Kunden enthielten, war es nicht immer möglich, planmäßig zum Ende der Stufe die Entwicklungen fertigzustellen. Auch die Erstellung der Migrationskonzepte war aufwendiger. Dadurch dass sich die Ausprägungen der Stamm- und Bewegungsdaten über die Stufen hinweg entwickelten, mussten das Migrationskonzept sowie die dafür notwendigen Entwicklungen mitwachsen. Genau wie die Tests der Key-User wurden Migrationstests je nach Entwicklungsstand, mehrfach durchgeführt. Erst in einem sehr späten Projektstadium konnte die Echtmigration verprobt werden. 

Die Produktivsetzung verlief am Ende sehr ruhig und mit wenig Fehlern. Nicht alle Anforderungen konnten vor GoLive umgesetzt werden, eine nachgelagerte Phase war notwendig. In der Rückschau sind sich alle Beteiligten sicher, das Projekt war nicht schneller oder günstiger als vergleichbare Einführungen nach einem eher klassisch orientierten Vorgehen. Aber im Projektverlauf waren Ergebnisse schnell sichtbar. Funktionen oder Lösungsoptionen konnten ausprobiert und auch mal verworfen werden, ohne dass ein großer Schaden entstand. Der für die Geschäftsführung so wichtige Blick auf Meilensteine und das Monitoring dieser, konnte sichergestellt werden. Die späteren Nutzer konnten früh mit eingebunden werden und die am Projekt beteiligten Key-User waren schon mit dem GoLive-Experten im System. Die typischen Überforderungen von Key-Usern in ERP-Einführungsprojekten haben wir in diesem Projekt nicht wahrnehmen können. Und alleine dafür hat es sich gelohnt so vorzugehen. Denn Key-User sind neben den Beratern des ERP-Anbieters die wichtigsten Protagonisten im ERP-Einführungsprojekt.

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