19. Dezember 2023

Vorbereitung und Durchführung eines Projektes zur Auswahl eines ERP-Systems

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Eggert, S. (Hrsg.)(2023): Handbuch ERP-Markt 2023. DPI Verlag, S. 12-17

https://doi.org/10.58678/hb-erp-markt23_12-17

ERP-Systeme sind betriebliche Anwendungen, die als Rückgrat der gesamten Informationsverarbeitung in Unternehmen gelten. ERP-Projekte betreffen daher nahezu alle Bereiche eines Unternehmens, gelten als kostenintensives Investment [1] und zeichnen sich durch einen hohen Komplexitätsgrad aus [2]. Die Risikominimierung eines ERP-Projektes beginnt bereits mit der Auswahl des einzuführenden ERP-Systems. Da die Auswahl eines ERP-Systems in der Regel nicht zum Alltagsgeschäft von kleinen und mittleren Unternehmen gehört, zeigt der folgende Beitrag eine strukturierte Vorgehensweise auf, die eine erfolgreiche ERP-Auswahl sicherstellt.

Der ERP-Markt bietet im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen ein breites Spektrum an Lösungen mit unterschiedlicher Ausrichtung und Funktionsumfang. Bei einer ERP-Entscheidung ist grundsätzlich von einer langfristigen Entscheidung auszugehen. In der Regel werden ERP-Einführungen alle 10 bis 15 Jahre in Unternehmen durchgeführt. 

Fehlentscheidungen innerhalb der Auswahlphase gehen demgemäß mit weitreichenden Folgen für die Nutzer und damit auch für das gesamte Unternehmen einher. Neben hohen Investitionskosten ist bei ERP-Projekten auch von einer hohen Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden während der Einführungsphase auszugehen.

Projektvorbereitung

Im Rahmen der Projektvorbereitung ist zunächst zu entscheiden, ob das Projekt vollständig (z. B. an eine Auswahlberatung) ausgelagert wird oder durch interne Mitarbeitende mit punktueller externer Unterstützung durchgeführt wird. Bei der Auswahl der internen Projektmitglieder ist neben entsprechenden Fachkenntnissen darauf zu achten, dass die ausgewählten Mitarbeitenden auch als Projektunterstützer gelten. Eine teilweise Entbindung vom Tagesgeschäft wäre zudem sinnvoll.

Weiterhin ist vor Beginn des Auswahlprojektes die Betrachtung der Ausgangslage des Unternehmens hilfreich. Dies erleichtert zudem die realistische Einschätzung der Zielstellung. Die Analyse der Ausgangslage sollte die eingesetzten Systeme, IT-relevante Prozesse, Wissen der Mitarbeitenden, vorhandene Dokumentationen und die IT-Strategie beinhalten. Erhoben werden kann dies bspw. mithilfe einer ERP-Reifegradermittlung [3].

Zieldefinition

Eine aktuelle Erhebung der Einflussfaktoren von ERP-Projekten ergab, dass u. a. eine klare Zieldefinition zu den wichtigen Erfolgsfaktoren gehört [3]. Zu Beginn des Projektes sollten daher die Ziele, die mit der Einführung der neuen ERP-Software verbunden sind, festgehalten und mit dem Management abgestimmt werden. Je konkreter die Ziele formuliert werden, desto genauer ist ein abschließendes Projektcontrolling möglich. Innerhalb der Zieldefinition sind die Ausgangssituation, die angestrebten organisatorischen und technischen Verbesserungen sowie die Wettbewerbsposition, der Zieltermin und das voraussichtliche Budget zu hinterlegen.

Bild 1: Schritte der ERP-Auswahl.

Change Management

Im Rahmen eines begleitenden Change Managements sind die Mitarbeitenden des Unternehmens in das Projektvorhaben mit einzubeziehen. In diesem Zusammenhang ist es ratsam, die angestrebten technischen und organisatorischen Verbesserungen, die mit der neuen Lösung erzielt werden sollen, auf mehreren Kanälen (z. B. über Abteilungsleitungen oder Newsletter) zu kommunizieren.

Wirtschaftlichkeitsbetrachtung

Um den Nutzen der geplanten ERP-Einführung zu quantifizieren, kann eine RoI-Analyse (RoI = Return on Investment) durchgeführt werden. Dabei werden die zu erwartenden Kosten dem daraus erzielbaren Nutzen gegenübergestellt. Die Erhebung der Wirtschaftlichkeitspotenziale kann entlang der relevanten Prozesse mithilfe der Mitarbeitenden erfolgen.

Erhebung der Anforderungen

Zur Ermittlung der Anforderungen eignen sich Interviews oder Workshops mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen von der ERP-Einführung betroffenen Abteilungen. Weiterhin kann eine detaillierte Prozessaufnahme des IST-Zustandes die Potenziale, die mit dem ERP-Projekt möglich sind, sichtbar machen. Anhand der aufgedeckten Potenziale sollte das Projektteam gemeinsam mit den Mitarbeitenden die Anforderungen an das neue System definieren. Die ermittelten Anforderungen sollten dabei möglichst genau aufgeführt, kategorisiert und beschrieben werden. Wichtig ist vor allem, sich auf die wesentlichen Anforderungen zu konzentrieren. 

Die ermittelten Anforderungen sollten tabellarisch zusammengetragen und in Kategorien untergliedert werden. Die funktionalen Anforderungen, die erfahrungsgemäß den größten Teil des Anforderungskatalogs ausmachen, sollten in Unternehmensbereiche (wie z. B. Einkauf, Vertrieb, Produktion) oder Systemmodule (z. B. CRM, PPS, SCM) weiter untergliedert werden. Weitere Anforderungskategorien sind z. B. technische Anforderungen wie notwendige Schnittstellen. Nachdem die Anforderungen entsprechend kategorisiert wurden, sollte eine Gewichtung erfolgen, um anschließend den Fokus auf die wichtigen Anforderungen zu legen. Den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern, die an der Anforderungsanalyse nicht aktiv beteiligt sind, sollten die Ergebnisse als Maßnahmen des Change Managements bereitgestellt werden.

Sukzessive Eingrenzung des Marktes

Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen ist der ERP-Markt sehr unübersichtlich. Allein in der DACH-Region existieren mehrere Hundert Anbieter von ERP-Systemen. Um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, helfen unabhängige Publikationen mit Marktübersichten oder auch anbieterneutrale Auswahlplattformen. Eine weitere Recherche im Internet oder auf Branchenmessen ist zudem empfehlenswert. Das Ergebnis der Markteingrenzung sollte eine „Longlist“ mit ca. 20 passenden Systemen sein. Dabei ist vor allem auf die Brancheneignung und passende Referenzen zu achten.

Im Anschluss sollte der Anforderungskatalog an die Anbieter der „Longlist“ verschickt werden. Es empfiehlt sich neben den Antwortmöglichkeiten „vorhanden“ oder „nicht vorhanden“ die Möglichkeit anzubieten, die entsprechende Anforderung seitens des Anbieters im laufenden Projekt realisieren zu lassen. Dabei sollten die Anbieter dann eine Schätzung des Zusatzaufwandes mit angeben. 

Auch während dieser Phase sind die Mitarbeitenden des Unternehmens über den Stand der Aktivitäten zu informieren und weiterhin auf die Ziele, die mit der ERP-Einführung verbunden sind, hinzuweisen.

Bewertung der Rückläufer

Auf Basis der Rückmeldungen der angesprochenen Anbieter sollte dann eine „Shortlist“ mit den 3 bis 5 Anbietern erstellt werden, die mit ihren Systemen den höchsten Erfüllungsgrad auf Basis des Anforderungskatalogs aufweisen. Diese Anbieter sollten dann zu Anbieterpräsentationen eingeladen werden.

Vorbereitung der Anbieterpräsentationen

Zweck der Anbieterpräsentationen ist es, eine bessere Einschätzung zu erhalten, inwieweit sich die eigenen Unternehmensprozesse mit den ausgewählten ERP-Systemen abbilden lassen und zudem den Anbieter besser kennenzulernen. Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn den ERP-Anbietern möglichst genau vorgegeben wird, welche konkreten Unternehmensszenarien sie mit dem System aufzeigen sollen. Dies ermöglicht auch eine Vergleichbarkeit der Anbieterpräsentationen. Zur Vorbereitung der Anbieterpräsentationen gehören die Beschreibung von Szenarien, eine Zeitplanung sowie die Erstellung von Bewertungsbögen.

Tabelle 1: Checkliste zur Vorbereitung und Durchführung der Anbieterpräsentation [4].

Durchführung der Anbieterpräsentationen

An den Anbieterpräsentationen sollten zwingend die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer des ERP-Systems teilnehmen. Dafür können Vertreterinnen und Vertreter aus allen Abteilungen eingeladen werden. Zur anschließenden Entscheidungsfindung sollten entsprechende (an den Szenarien orientierte) Bewertungsbögen vorbereitet werden, die dann von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern während der Anbieterpräsentationen auszufüllen sind. Als weiteres Vergleichsinstrument dienen Richtangebote, die im Anschluss an die Anbieterpräsentationen angefordert werden.

Referenzbesuche und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen

Sollten mehrere Anbieter entsprechend hoch bewertet werden, sodass eine Entscheidung noch nicht erfolgen kann, können Referenzbesuche oder eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung dieser Systeme durchgeführt werden. Dabei sind wiederum im Rahmen des Change Managements die Mitarbeitenden aus den Abteilungen zu involvieren und an der Entscheidung teilhaben zu lassen. Zur Vorbereitung der Referenzbesuche dienen Checklisten sowie die Ankündigung konkreter Themen.

Entscheidung

Als Basis zur Entscheidungsfindung dienen die Ergebnisse der Bewertungsbögen, die Kostenaufstellungen aus den Richtangeboten und ggf. die Ergebnisse der Referenzbesuche und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Mit der Entscheidung für einen Anbieter ist die Auswahlphase abgeschlossen. Die Entscheidung ist dann den gesamten Mitarbeitenden des Unternehmens begründet mitzuteilen. Wichtig ist, dass die Entscheidung nachvollziehbar kommuniziert wird. In weiteren Schritten werden innerhalb einer Workshopphase gemeinsam mit dem Anbieter und Vertreterinnen und Vertretern der betroffenen Abteilungen die Anforderungen konkretisiert und zusammen die gewünschten Soll-Prozesse erarbeitet. Im Anschluss sollte der Anbieter in der Lage sein, ein Pflichtenheft sowie einen Zeitplan zu erstellen, welche die Basis für ein finales Angebot darstellen werden.

Herausforderungen

Die Auswahl eines ERP-Systems ist von grundlegender Bedeutung für die Sicherstellung einer erfolgreichen Einführung mit anschließender Betriebsphase, die in der Regel mindestens 10 Jahre umfasst. Werden in der Auswahlphase Fehlentscheidungen getroffen, hat dies in der Regel weitreichende Folgen für die Nutzerinnen und Nutzer und damit auch für das gesamte Unternehmen.

Zu den wichtigen Erfolgsfaktoren, die im Rahmen des Auswahlprojektes zu berücksichtigen sind, zählen die konkrete Formulierung der Zielsetzung, die mit der ERP-Einführung verbunden ist, die Beschreibung der Anforderungen in einer hohen Detailtiefe sowie Maßnahmen im Rahmen des Change Managements.

Fazit

Kleine und mittlere Unternehmen stehen bei der ERP-Auswahl aufgrund des unübersichtlichen Marktes vor besonderen Herausforderungen. Punktuell ist es daher empfehlenswert, fehlende Kenntnisse durch die Hinzunahme von Expertinnen oder Experten auszugleichen. 

Literatur:

[1] Shibly, H. R., Abdullah, A.; Murad, M. W.: ERP Adoption in Organizations, The Factors in Technology Acceptance Among Employees; Palgrave Macmillan, 2022

[2] Eggert, S.: Erfolgsfaktoren in ERP-Projekten, DPI Verlag, In ERP Information 1/2023, S. 21-24 https://doi.org/10.58678/erp-information_23-1_21-24

[3] Eggert, Sandy: Ansatz zur Bestimmung der ERP-Reife mittelständischer Unternehmen, In: Wolf, M. R.; Barton, T.; Hermann, F.; Mester, V. G.; Müller, C.; Seel, C. (Hrsg.): Angewandte Forschung in der Wirtschaftsinformatik 2019, mana-Buch, Heide 2019

[4] Eggert, Sandy: ERP-Auswahlprojekte erfolgreich meistern, S. 11-13, ERP Management I/2020, ISSN 1860-6725, ISBN 978-3-95545-331-2

Prof. Dr. Sandy Eggert beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit dem ERP-Markt und der Auswahl passender Systeme für KMU. Seit 2013 lehrt sie als Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. 

Prof. Dr. Sandy Eggert
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