28. Januar 2024

Change Management in ERP-Projekten

Prozesse, Organisation und Enterprise Systems richtig integrieren

Planen Unternehmen ERP-Projekte, dann geht es um weit mehr als nur um eine technische und funktionale Lösung. Es geht vor allem auch um den richtigen Umgang mit dem Wandel der Prozesse innerhalb der Organisation und um die Erkenntnis, dass es Menschen sind, die den eigentlichen Wert eines Unternehmens ausmachen. Effektives Change Management ist daher ein entscheidender Erfolgsfaktor bei der Auswahl, Evaluierung und Implementierung von ERP-Systemen sowie generell in Projekten rund um Enterprise Systems (wie bspw. CRM, DMS, ECM, BI etc.).

ERP-Systeme unterstützen Unternehmen in einer digitalisierten Welt bei einer möglichst effizienten Abwicklung der Geschäftsprozesse. Somit gelten diese Systeme als das digitale Rückgrat der Unternehmen und bilden die Ablauf- und Aufbauorganisation in unterschiedlichen Ausprägungen ab. Die ungeschriebene Vision der meisten Unternehmen lautet schließlich: „Wir wollen im Wettbewerb hocherfolgreich und hochprofitabel bestehen“. Gerade bei ERP-Projekten stehen Begriffe wie „schneller“, „besser“, „effizienter“, „kundenindividueller“ etc. im Vordergrund. Folglich sind in Auswahl- und Evaluierungsprojekten neben budgetären Themen vor allem Funktionen, Prozesse und die Integration zu anderen Systemen von großer Bedeutung. Sowohl technisch als auch funktional haben moderne ERP-Systeme aufgrund stetiger Weiterentwicklung einen hohen Reifegrad. 

Generell können Systeme „nur“ Funktionen und Prozesse liefern, nicht aber organisatorische Herausforderungen lösen. Leider werden jedoch in vielen Unternehmen Enterprise Systems als Universallösung angesehen, um organisatorische Probleme zu lösen. Bedauerlicherweise werden dadurch oft ERP-Systeme und andere Enterprise Systems unter dieser Annahme ausgewählt und eingeführt.

Menschen sorgen für Verbesserungen und Leistungssteigerungen

Wenn Unternehmen ERP-Systeme implementieren oder ein neues ERP-Projekt planen, geht es im Kern also auch immer um den richtigen Umgang mit Wandel in Organisationen sowie um die Erkenntnis, dass Menschen letztlich den Wert eines Unternehmens ausmachen. Das bedeutet nicht, dass gutes Change Management Mitarbeitende glücklicher machen oder ihre Wünsche erfüllen sollte, denn bei Change Management geht es nicht um „wohlige“ Gefühle, sondern um die harte Realität: Es zählen Disziplin, Verantwortung, Bewertbarkeit, Fristen und Leistungen. Scheitern ERP-Implementierungen, ist der Grund selten ein technisches Problem. In der überwiegenden Mehrzahl sind diese Systeme ausgereift. Weil nicht die Software, sondern Menschen für den Erfolg des Implementierungsprojektes sorgen, ist nachhaltiges Change Management ein integraler und entscheidender Erfolgsfaktor bei solchen Projekten.  

Phasen der Veränderung

Veränderungsprozesse lassen sich grundsätzlich in drei Phasen unterteilen (siehe Bild 1). Die erste Phase des Auftauens stellt die Notwendigkeit zur Veränderung dar. Zudem muss hier die Bereitschaft zu einem Wandel erzeugt werden.

Die zweite Phase „Ändern“ kann sehr vielfältig verlaufen. Oft unterteilt sie sich in sechs aufeinanderfolgende Bereiche, die sich auch mit möglichen Aussagen untermauern lassen:

  • Schock („Das kann nicht wahr sein…“)
  • Ablehnung („Das stimmt nicht…“)
  • Rationale Einsicht („Vielleicht doch…“)
  • Lernen („Mal versuchen…“)
  • Emotionale Akzeptanz („Es stimmt eigentlich…“)
  • Erkenntnis („Es geht ja tatsächlich…“)
  • Integration („Es ist selbstverständlich…“)

In der dritten Phase des Wiedereinfrierens und Stabilisierens geht es schließlich darum, den neuen Zustand in der Organisation zu festigen und nachhaltig zu verankern. 

Von der Wahrnehmung zur Reflexion – der Zyklus der Veränderung und des Lernens 

Die Phase „Ändern“ ist in der Regel sehr friktionsbehaftet. Es macht daher Sinn, diese Phase und den Ablauf des Veränderungsprozesses oder des Wandels genauer zu betrachten:

1. Wahrnehmung

In dieser ersten Phase werden primär Informationen gesammelt und noch eher absichtslos verarbeitet. 

2. Bewusstsein schaffen

In der zweiten Phase wird der gesammelte „Informationspool“ strukturiert, bewertet und mit Bedeutung versehen. Es entsteht ein Bewusstsein für die Handlungsfelder der Veränderung und es kristallisieren sich entsprechende „Figuren“ heraus. Solche „Figuren“ können Vision, Mission, Ziel, Problemdefinition oder auch ein Konkurrent sein. Je präziser und eindrucksvoller diese „Figur“ ist, umso größer und zielgerichteter ist die Motivation für die Veränderung sowie die Bereitschaft, Zeit, Geld und Aufmerksamkeit zu investieren. 

Bild 1: Phasen der Veränderung.

3. Veränderungsenergie erzeugen

Die Veränderungsenergie muss sich aus der Wahrnehmungsarbeit und der Bewusstheit ergeben. Dementsprechend müssen einerseits relevantes Personal sowie andererseits nötige Ressourcen bereitgestellt werden, um die notwendige Veränderungsenergie zu erzeugen. Häufig werden nach dem Prinzip „Zug und Druck“ aber bestehende Standpunkte durchgesetzt, was sich als „Beharrungskraft“ gegen die Veränderung zeigt. Somit wird der Veränderungswillen durch Zwänge, Anordnungen oder Sanktionsdrohungen zunichte gemacht. Folgende Maßnahmen können aber bei fehlendem Veränderungswillen als Lösungsvarianten dienen:

  • Prüfen der gemeinsamen Figur
  • Widerstand in Veränderungsprozessen ist normal und ist zudem eine gesunde Kraft. Wandeln Sie den Widerstand daher in positive Veränderungsenergie um. 

4. Aktionsphase

Die Mitarbeitenden erkennen, dass es „jetzt Ernst wird“. Es werden Pläne geschmiedet, Vorentscheidungen getroffen und Testläufe durchgeführt. Darüber hinaus formieren sich häufig Skeptiker und Befürworter und Emotionen werden frei. Die Frage, wie der Veränderungsprozess konkret durchgeführt werden soll, wird zumeist während des Projektes im gesamten Unternehmen emotional und hitzig diskutiert. Häufig wird auch besprochen, ob und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt das Projekt abgebrochen werden soll. Diese Phase birgt eine besondere Gefahr, da aufgrund des Anscheins „alles sei in Bewegung“ diese oftmals bereits mit der angestrebten Veränderung verwechselt wird.  Der Zyklus der Veränderung und des Lernens zeigt jedoch: Es fehlen noch zwei entscheidende Schritte, nämlich die „Kontaktphase“ und die „Reflexion“.

5. Kontaktphase

Der Augenblick ist da, bei dem das Unternehmen das „Neue“ verinnerlicht. Viele Mitarbeitende sind gezwungen, Tätigkeiten zu verrichten, die sie so noch nie getan haben. Bisherige Grenzen werden verschoben, die Organisation „kaut und verdaut“. Erfahrung entsteht und eine kreative Anpassung der Organisation und Mitarbeitenden an diese Änderungen ist gefragt. Typischerweise tritt in dieser Phase der meiste Widerstand im Veränderungsprozess auf. Er äußert sich in vielen verschiedenen Formen (Widerstand ist eine „verschlüsselte Botschaft“). 

6. Reflexions- und Rückzugsphase

Damit Veränderungen stabil und nachhaltig bleiben, müssen die Erfahrungen überdacht werden und entsprechend als Lernchance verstanden werden. 

Es gibt einige Gefahren, die auftreten können, wenn der Veränderungsprozess ohne Reflexion und Rückzug durchgeführt wird, so etwa, dass Veränderungen einen „stillen Tod“ sterben und „halbverarbeitete“ Veränderungen die Organisation bei künftigen Änderungsvorhaben lähmen. Daher ist es notwendig, gelungene und gescheiterte Veränderungen zu reflektieren. Stellen Sie sich dabei beispielsweise folgende Fragen: 

  • Was hat sich nun tatsächlich gegenüber dem vorigen Zustand verändert? Woran merken wir das? Woran merken die anderen (Kunden, Lieferanten, Vorgesetzte, andere Abteilungen) das? Gab es unerwartete Effekte? 
  • Was haben wir gewonnen, was verloren? Wie können wir das Verlorene vielleicht doch noch bewahren und das Erreichte langfristig sichern? 
  • Was haben wir über unsere eigene Fähigkeit, uns zu verändern gelernt? Was ist uns leichtgefallen, was besonders schwer?  
  • Was können wir bei der nächsten Veränderung besser machen? Was sollten wir künftig vermeiden?

Wird die Thematik des Widerstands näher betrachtet, dann stellt sich zunächst die Frage, welche Formen von Widerstand es gibt. 

  • Scheinbare Zustimmung, ohne Engagement für die Umsetzung („Jaja, das machen wir schon.“) 
  • Schuldzuweisungen an andere, ohne den eigenen Anteil an der Situation zu sehen („Die anderen sind schuld.“)
  • Vermeidung des Konflikts („Am besten wir reden über etwas anderes…“) 
  • Herunterspielen oder Negieren eines Konflikts („Wir haben keine Probleme!“) 
  • Methoden werden diskutiert anstatt Inhalte 
  • Arbeitsanweisungen werden nicht beachtet 
  • Nebensächliches wird endlos besprochen 
  • „Ersatz-Projektion“ auf den Moderator oder den „Change Agent“

Widerstand positiv im Veränderungsprozess nutzen

Daher ist es von hoher Wichtigkeit, dass Beweggründe und Ursachen der Widerstände erkannt werden, noch bevor geeignete Maßnahmen entwickelt werden. 

  • Widerstand gegen Überforderung und unsinnige oder schädliche Veränderungen, denn nicht jede Veränderung muss unbedingt eine Verbesserung sein.
  • Widerstand schützt also vor vorschneller Vereinnahmung und dient der Überlebensfähigkeit des „Organismus“. Er ist damit die Basis für die Weiterentwicklung und Erneuerung der Organisation. 
  • Widerstand ist Energie. Ein Veränderungsprozess ohne Widerstand ist gar nicht wünschenswert, denn der Widerstand zeigt zumindest Interesse oder Betroffenheit der Beteiligten.
    Widerstand von Mitarbeitenden kann auch deren konstruktiven Input und Ideen hervorbringen. 
  • Widerstand ist als Informationsquelle nutzbar. Sie gibt Auskunft über die wahren Bedürfnisse der Beteiligten. 

Bild 2: Zyklus der Veränderung und des Lernens.

Es gilt daher, den Unterschied zwischen Widerstand und berechtigtem Einwand zu erkennen. Als Grundregel gilt, dass berechtigte Einwände auf Argumenten basieren. Folgende Punkte können Ihnen dabei helfen, den Unterschied zu erkennen: 

  • Diskussionen verändern und entwickeln sich weiter, die vorgebrachten Argumente haben nach einiger Diskussionsdauer Bestand oder nicht. 
  • Wenn sich die „Bedenkenträger“ tatsächlich mit den Gegenargumenten auseinandersetzen (was nicht zwingend heißt, dass diese ohne Weiteres akzeptiert werden), handelt es sich nicht um Widerstand.
  • Vorsicht vor „vorgeschobenen Argumenten“. Vorgeschobene Argumente nehmen mal diese, mal jene Gestalt an, je nachdem, wie es gerade in die Interessen passt.
  • Themen, die eigentlich schon ausdiskutiert schienen, tauchen wiederholt auf, manchmal auch mit geringfügigen Veränderungen. Ebenso werden Grundsatzdiskussionen wieder und wieder „vom Zaun gebrochen“. 

Unternehmensführung einbinden und Ressourcen freistellen

Dabei geht es nicht um Lippenbekenntnisse. Die Geschäftsleitung sollte so hinter dem ERP-Projekt (inkl. Change) stehen, als ginge es um eine Standortverlagerung oder um eine entscheidende Neuausrichtung des Unternehmens. Stellen Sie separates, dezidiertes Personal und Ressourcen für das Change Management bereit. Zu viele Betriebe rekrutieren ihr Change-Management-Team aus den Mitarbeitenden der technischen Implementierung. Sind Fristen knapp, konzentrieren sich einerseits die „Technikaffinen“ auf die Soft- und Hardwareabläufe und andererseits die „Prozessaffinen“ auf Abläufe und Prozesslogiken. Aber beide vernachlässigen den menschlichen Faktor. Stattdessen brauchen Sie in Ihrem ERP-Projekt jemanden, der sich fragt: „Welche Vorbereitungen des Personals und für das Personal sind zu treffen, welche Hilfestellungen brauchen die Mitarbeitenden?“ 

Widerstand gegen Veränderungen

Will ein Betrieb die Vorteile von ERP-Systemen voll ausschöpfen, läuft das auf profunde Veränderungen hinaus – und große Veränderungen bedeuten großen Widerstand. Widerstand zeigt sich eigentlich nicht in offener Rebellion, wohl aber passiv-aggressiv, indem neue Prozesse umgangen werden. Organisationen müssen möglicherweise sehr strikt agieren, um mit neuen Regeln neue Abläufe zu erzwingen. Gleichzeitig müssen sie aber dafür sorgen, dass jeder Benutzer die nötigen Werkzeuge hat, um seine Aufgaben zu erledigen.

Richten sie die Ziele für Mitarbeitende an einer erfolgreichen Umsetzung aus. Erfolgreiche ERP-Implementierungen und -Projekte müssen nicht nur den Zeit- und Budgetrahmen einhalten. Erfolg sollte sich auch über den betrieblichen Nutzen einer Lösung definieren. Um sicherzustellen, dass Geschäftsziele sofort und auch in Zukunft erreicht werden, richtet ein geschicktes Management die Zielvorgaben für Mitarbeitende am angepeilten Nutzen des Projektes aus. Dabei können zum Beispiel Boni für die Teilnahme an Schulungen und für die Aneignung bestimmter Fertigkeiten helfen. Die Beträge müssen nicht hoch sein und könnten zu einer permanenten Einrichtung werden.

Mag. Johannes Keckeis, Partner und Senior Consultant bei der SIS Consulting GmbH, ist als Unternehmensberater und Coach tätig. Schwerpunkte der Beratungsleistungen sind ein ganzheitlicher und integrativer Beratungsansatz in den Bereichen Digitalisierung, Enterprise Systems, Geschäftsprozesse, Organisation und Projektmanagement. Er  lehrt als externer Lehrbeauftragter an diversen Universitäten und Hochschulen.

Ing. Mag. Dr. Christoph Weiss, Geschäftsführer, Partner und Senior Consultant bei der SIS Consulting GmbH, ist als Unternehmensberater und Coach tätig. Schwerpunkte der Beratungsleistungen sind ein ganzheitlicher und integrativer Beratungsansatz in den Bereichen Digitalisierung, Enterprise Systems, Geschäftsprozesse, Organisation und Projektmanagement. Er lehrt als externer Lehrbeauftragter an diversen Universitäten und Hochschulen und wirkt aktiv bei internationalen Forschungsprojekten mit. 

Dr. Christoph Weiss
Geschäftsführer SIS Consulting GmbH
Unternehmerzentrum 21
6073 Sistrans, Österreich
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