Framework für eine erfolgreiche ERP-Transformation
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Brugger, T.; Czeslik, M.; Echter, P.; Hager, A. (2023): Framework für eine erfolgreiche ERP-Transformation. DPI Verlag, In ERP Information 1/2023, S. 36–39
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Ausgebremste oder gescheiterte ERP-Projekte sind leider kein Einzelfall. Die Ursachen dafür liegen zumeist in der Komplexität des Vorhabens begründet, denn die Einführung von ERP-Systemen wie z. B. SAP S/4HANA ist mehr als nur eine technische Umstellung. Es stellt eine große Veränderung in den Prozessen und der Arbeitsweise eines Unternehmens dar und bietet strategische Chancen, um im digitalen Zeitalter wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb betrachten wir ERP-Transformationen auch als Möglichkeit, die Unternehmenskultur weiterzuentwickeln und Agilität und Selbstorganisation im Alltag zu verankern.
Eine erfolgreiche Unternehmens- oder Projektstrategie ist abhängig von einer Kultur, die die Mitarbeiter*innen dazu ermutigt, sie umzusetzen. Daher ist das Change Management in Transformationsprojekten von großer Bedeutung und wichtig für den Projekterfolg.
Die Wirkung und Intensität der Einflussfaktoren, die von den Menschen, ihren Arbeitsweisen und Motivationen ausgehen, werden oft am Anfang einer systembedingten Transformation unterschätzt. Dabei sind sie immanent wichtig und lassen sich unserer Erfahrung nach bei Berücksichtigung der folgenden Erfolgsfaktoren gut managen:
- Eindeutige Unternehmens- und Projektziele
Alle Beteiligten haben verinnerlicht, wie die Projektziele auf die Unternehmensziele einzahlen und wie die Software künftig zur Wertschöpfung beiträgt.
- Commitment und Support des Managements
Das Management unterstützt das Projekt und treibt es aktiv voran. Ressourcen werden bereitgestellt und Hindernisse beseitigt.
- ERP-Implementierung als „Business-Change“ verstehen
Die Prozesse und oft auch organisationalen Strukturen werden neu geordnet – den Fachbereichen ist dabei klar, welchen Beitrag sie leisten können.
- Positive Kollaborations- und Führungskultur
Die in- und externe Vernetzung von Daten und Menschen wird gefördert und eine neue Kollaborationskultur aktiv unterstützt.
- Einklang von Können, Wollen und Dürfen
Ein erfolgreich eingeführtes ERP-System ermöglicht den Mitarbeiter*innen mehr Freiraum für die wertschöpfenden Aufgaben. In ihnen finden sich die Mitarbeiter*innen mit ihren Kompetenzen besser wieder als in Routineaufgaben („Können”). Die Transformation wirkt sich positiv auf ein motivierendes Arbeitsumfeld und die Zufriedenheit aus („Wollen“). Das Management gibt den Rahmen vor, in dem Neues ausprobiert wird („Dürfen”).
So kann eine ERP-Transformation gelingen, die von einer Mehrheit der Mitarbeiter*innen gewollt ist und im Einklang mit den Unternehmenszielen steht.
Das ADDVALUE Transformation
Framework im Überblick
Für die Einführung von SAP S/4HANA wurde von mgm consulting partners das Transformation Framework ADDVALUE entwickelt (Bild 1). Es betrachtet die technische Implementierung zusammen mit den Herausforderungen in Business, IT und Organisation und bietet Unternehmen eine umfassende Orientierung während des Transformationsprozesses. Es besteht aus acht Projektphasen mit entsprechenden Methoden und Werkzeugen, welche die technische Implementierung umrahmen, fördert das Alignment von Business und IT, die Weiterentwicklung von Mitarbeiter*innen und Führungskräften und die vernetzte Zusammenarbeit über Abteilungen hinweg.
Die Phasen harmonieren mit den im Rahmen von SAP Activate empfohlenen Maßnahmen und bilden ein komplementäres Modell. Dabei wird in Kauf genommen, dass einzelne Phasen auch überlappend durchlaufen werden. Dies hat sich in der Praxis bislang als pragmatischer Weg erwiesen. Im Folgenden wird ein Überblick über die jeweiligen Schwerpunkte gegeben.
Die acht Phasen des Vorgehensmodells
ALIGN – Abgleich von (Digitalisierungs-)Strategie und Projektportfolio
Zu Beginn des Projektes wird eine Grundlage für Entscheidungen im Rahmen der digitalen Transformation geschaffen. Das Management schafft ein gemeinsames Verständnis über den strategischen Kontext eines ERP-Projektes sowie die Veränderungsdimensionen und Auswirkungen auf die Strategie und Organisation des Unternehmens. Ein gemeinsames Commitment der Führungskräfte zu den strategischen Zielen und Leitplanken der digitalen Transformation (digitale Agenda) ist ebenso unerlässlich wie eine strategische Priorisierung im gesamten Projektportfolio unter Berücksichtigung von Zielen und Wechselwirkungen.
DEVELOP – Der Rahmen für die Transformation wird gesetzt
Die geeignete Implementierungsstrategie im Hinblick auf die strategische Ausrichtung wird ausgewählt, der Business-Case erarbeitet sowie eine Projektvision und Change-Management-Strategie entwickelt. Die IT ist damit beschäftigt, die vorhandene Infrastruktur und Systemlandschaft mit den zukünftigen Anforderungen abzugleichen. Das Change Management begleitet, moderiert zentrale Entscheidungsprozesse und leitet die Auswirkungen dieser Entscheidungen auf Mensch und Organisation ab.
Ziel ist es, Transparenz über den Istzustand zu schaffen und kritische Lücken zu identifizieren. Zudem wird eine Roadmap zur Implementierungsstrategie inklusive des bevorzugten Betriebsmodells aufgestellt, die Projektorganisation aufgebaut und ein Zeit- und Kostenplan erstellt. Um die Beteiligten zu sensibilisieren, wird der Handlungsdruck aufgezeigt – immer in Zusammenhang mit den Chancen, die sich aus der digitalen Transformation ergeben.
DESIRE – Bereitschaft zur Transformation gezielt steigern
Das Projekt ist in den nächsten Phasen entscheidend auf die Mit- und Zuarbeit von vielen weiteren Beteiligten angewiesen. Deshalb muss im Unternehmen ein starker Wunsch erzeugt werden, die gesamte Organisation mit diesem Projekt entscheidend voranzubringen. Es wird eine nachvollziehbare Change-Story entwickelt, die der gesamten Kommunikation die Richtung vorgibt und beschreibt, welche Veränderungen wann auf wen zukommen und wie sich die Organisation am Ende konkret aufstellt.
In dieser Phase ist es wichtig, spezifische Botschaften für die unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen zu formulieren und die Zusammenarbeit zwischen Business und IT auf Augenhöhe zu gestalten. Eine Prozesslandkarte bietet die Grundlage für Fit-to-Standard-Workshops. Synchron zur Change-Strategie entsteht ein erstes Qualifizierungskonzept.
VERFIY – Verifizieren des Veränderungsumfangs und Verfeinern der Werkzeuge
Diese Phase steht üblicherweise ganz im Zeichen der Fit-to-Standard-Workshops. Sie sind erfolgskritisch für den gesamten Projektverlauf und es wird viel Fingerspitzengefühl im Austarieren der unterschiedlichen Interessen benötigt. Es gilt in den Workshops vor allem, die Chancen einer ERP-Einführung für das Business in den Blick zu nehmen und mit den unterschiedlichen Interessen der Organisationseinheiten abzugleichen. Ohne die Bereitschaft beider Seiten aufeinander zuzugehen, wird diese Phase nicht von Erfolg gekrönt sein.
Schwerpunkte sind hier das „Aushandeln“ des Grades an Veränderung, die Vorbereitung der Datenmigration, die Entwicklung von Trainingsprogrammen und der Start der Kommunikationsoffensive.
APPLY – Die erfolgreiche (agile) Realisierung unterstützen
Diese Phase ist geprägt von agilen Entwicklungsschleifen zur Abbildung der Prozesse im neuen System. Da zu diesem Zeitpunkt noch kein fertiges System zur Verfügung steht, finden hier umfangreiche Tests mit einem immer größeren Kreis von Anwender*innen statt. Ausgewählte Key-User können erste Eindrücke vom neuen System in den einzelnen Organisationseinheiten teilen.
Es geht konkret um die Realisierung und Validierung der Softwarelösung und die Vermittlung und Umsetzung von maßgeschneiderten hybriden (analogen und digitalen) Qualifizierungsprogrammen, um die Anwender*innen optimal auf die neue Lösung vorzubereiten. Spezifische Interventions- und Kommunikationsmaßnahmen für die beteiligten Stakeholder-Gruppen zielen auf eine möglichst reibungslose Anpassung an die neuen Organisationsstrukturen und das Annehmen von neuen Rollen und Verantwortlichkeiten.
Bild 1: ADDVALUE Transformation Framework, entwickelt von mgm consulting partners in Anlehnung an SAP Activate.
LAUNCH – Arbeitsfähigkeit zum Go-live sicherstellen
In den letzten Wochen vor dem Launch beginnt eine detaillierte Cut-over-Planung. Jede*r Projektbeteiligte muss genauestens seine Aufgabe kennen, daher spielt die unternehmensweite Go-live-Kommunikation noch einmal eine wesentliche Rolle. Die IT setzt ein entsprechendes Problem- und Fehlermanagement mit klaren Vorgaben auf, wie mit auftretenden Problemen und Supportanfragen umzugehen ist. Die LAUNCH-Phase ist noch einmal ein wichtiger Test für das Zusammenspiel von Business und IT. Nur wenn im Laufe der vorangegangenen Monate genügend Vertrauen aufgebaut wurde, wird diese kritische Phase gemeinsam zu meistern sein.
Schwerpunkte sind hier die Vorbereitung der Mitarbeiter*innen auf die Systemanwendung und die Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit im Zuge des Go-live. Gerade die psychologische Sicherheit in den beteiligten Teams spielt hierbei eine große Rolle. Entsprechend entfällt ein wesentlicher Teil der Führungsarbeit und Key-User-Unterstützung auf den regelmäßigen Dialog und schnelle Hilfestellungen.
UNFOLD – Die neue S/4HANA-Organisation verstetigen
Mit dem erfolgten Go-live beginnt der „Hyper-care“, eine möglichst kurze Übergangsphase, bevor das Unternehmen wieder in einen stabilen Zustand wechseln kann und beispielsweise die Prozessverantwortung an die Linienorganisation zurückgibt.
In dieser Phase übernehmen die Change-Agents noch einmal eine wesentliche Rolle. Sie fangen Stimmungen bezüglich der neuen Arbeitsweisen und Verantwortlichkeiten auf und leiten sie zur Auswertung an das Change-Management-Kernteam weiter. Aus Sicht der Veränderungskommunikation ist es jetzt wichtig, den Fokus zurück auf das große Gesamtbild zu bringen und die strategischen Effekte der ERP-Implementierung zu bewerten. Mit dem Übergang in ruhigeres Fahrwasser sollten nun auch Erfolge gefeiert werden.
EXPAND – Fortführung der digitalen Transformation in die Zukunft
Die Phase EXPAND gehört nicht mehr zum eigentlichen ERP-Projekt, doch werden hier die Weichen gestellt für mögliche Erweiterungen und Optimierungen. Dazu gehört etwa die Anbindung weiterer Organisationseinheiten, die Ergänzung um zusätzliche Anwendungen und Funktionen sowie das stetige Hinterfragen der Prozesse und die Implementierung neuer Technologien. Die EXPAND-Phase ist spätestens auch die Zeit des strategischen Rückblicks. Welche Ziele der digitalen Agenda wurden erreicht und in welchem Umfang wurden die Mitarbeiter*innen mitgenommen? Gibt es neue Ziele und damit eine neue digitale Agenda?
Fazit
Ein wesentlicher Vorteil der digitalen Transformation ist, mehr Agilität und Flexibilität in der IT und gesamten Organisation zu erzeugen, um kontinuierlichen Wandel besser zu ermöglichen. Das vorgestellte Framework berücksichtigt dabei die prozessualen, strukturellen und kulturellen Effekte einer ERP-Transformation, bezogen auf die gesamte Organisation mit allen Wechselwirkungen. Es hilft, eine Brücke von der Unternehmensvision zum konkreten Alltagshandeln der Mitarbeiter*innen zu schlagen. Denn nur wenn dieser Brückenschlag gelingt, wird so ein weitreichendes Transformationsprojekt Erfolg haben.
Thomas Brugger richtete früh den Fokus auf die Business Transformation und sammelte wertvolle Erfahrungen unter anderem in Stabspositionen von Porsche und Umicore in Jahren großer Veränderungen. Er verantwortet die Themen Change Management, Training, Kommunikation und Programm-Management in Digitalisierungs- und Transformationsprogrammen bei den Kunden der mgm.
Markus Czeslik berät Unternehmen seit mehr als 14 Jahren an der Schnittstelle von Change Management und Change-Kommunikation bei Reorganisationen, IT-Einführungen und Kulturwandel-Initiativen. Vor mgm führte er seine Kunden bei Ketchum Germany sowie bei stadler/schott/ Beratung für Unternehmenskultur durch komplexe Veränderungsprozesse.
Peter Echter bringt bei mgm seine langjährige Programm- und Projektexpertise im SAP-Umfeld ein und verantwortet als Product-Owner die SAP-Community in der mgm-Gruppe. Insbesondere bei E.ON und RWE begleitete er in unterschiedlichen Funktionen langjährig SAP-basierte Roll-Out- und M&A-Projekte und Programme unter SAP R/3 und SAP S/4HANA.
Ariane Hager berät mit einem tiefgehenden Verständnis für den Ablauf von Veränderungen seit mehr als 15 Jahren unter der mgm-Flagge Großkonzerne und mittelständische Unternehmen bei Projekten im Kontext Change Management und Change-Kommunikation. Seit 2017 steuert sie das „Organizational Change Management“ großer S/4HANA-Implementierungsprojekte.