13. September 2022

Change Management im ERP-Auswahlvorgehen

Begleitende Maßnahmen zur Mitarbeiterakzeptanz

Für kleine und mittlere Unternehmen existiert ein enorm großer Markt an ERP-Lösungen mit unterschiedlicher Ausrichtung und verschiedenem Leistungsangebot. Diese Unternehmen stehen daher zunächst vor einer Auswahlentscheidung. Da die Auswahl einer geeigneten ERP-Software nicht zum Alltagsgeschäft gehört, verfügen Unternehmen im Allgemeinen nicht über Erfahrungen zum richtigen Vorgehen und es fehlt neben Marktkenntnissen auch oft die Kenntnis, mit akzeptanzsteigernden Maßnahmen umzugehen. Dieser Beitrag zeigt eine strukturierte Vorgehensweise auf, die eine erfolgreiche ERP-Auswahl mit begleitenden Maßnahmen zur Mitarbeiterakzeptanz sicherstellt.

Die Auswahl eines ERP-Systems ist von grundlegender Bedeutung für die Sicherstellung einer erfolgreichen Einführung mit anschließender Betriebsphase, welche in der Regel mindestens 10 Jahre umfasst. Werden in der Auswahlphase Fehlentscheidungen getroffen, hat dies in der Regel weitreichende Folgen für die Nutzer und damit auch für das gesamte Unternehmen. Einerseits stellt eine ERP-Einführung eine enorme Kostenbelastung dar und ist andererseits aus organisatorischer Sicht eine große Herausforderung für die betroffenen Abteilungen und Mitarbeiter. Meist werden ERP-Einführungen nur alle 10 bis 15 Jahre in Unternehmen durchgeführt. Es kommt jedoch auch vor, dass ERP-Systeme mehr als 20 Jahre im Einsatz sind.

Für die Vorbereitung des Auswahlprojektes ist es empfehlenswert, die internen Projektmitglieder zum Teil vom Tagesgeschäft zu entbinden. Weiterhin ist zu prüfen, ob das Hinzuziehen von Experten (z. B. aufgrund fehlender Marktkenntnisse) sinnvoll oder notwendig ist.

Zieldefinition

Zu Beginn des Projektes müssen die Ziele, die mit der Einführung der neuen ERP-Software verbunden sind, festgehalten und mit dem Management abgestimmt werden. Je konkreter die Ziele definiert werden, je besser kann nach Projektende die Zielerreichung überprüft werden. Bereits in dieser Phase sollte das Change Management beginnen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in das Vorhaben einbezogen werden. In diesem Zusammenhang ist es ratsam, die angestrebten technischen und organisatorischen Verbesserungen, die mit der neuen Lösung erzielt werden sollen, auf mehreren Kanälen (z.B. über Abteilungsleiter oder Newsletter) zu kommunizieren.

Wirtschaftlichkeitsbetrachtung

Bei Unsicherheiten in Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der ERP-Einführung empfiehlt sich die Durchführung einer RoI-Analyse (RoI = Return on Investment) entlang der Unternehmensprozesse. Dies kann durchaus mit externer Hilfe realisiert werden. Bei der Erhebung der Wirtschaftlichkeitspotenziale werden die ERP-relevanten Prozesse gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter analysiert.

Erhebung der Anforderungen

Die Ermittlung der Anforderungen erfolgt mit Hilfe von Interviews oder Workshops mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen Abteilungen. Bei komplexen Vorgängen ist es ratsam, den IST-Zustand detailliert aufzunehmen und grafisch zu visualisieren. Durch die Modellierung und Visualisierung der Prozesse sind Potenziale in der Regel noch besser zu erkennen. Anhand der aufgedeckten Potenziale sollte das Projektteam gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Anforderungen an das neue System definieren. Die ermittelten Anforderungen sollten möglichst genau aufgeführt, kategorisiert und beschrieben werden. Wichtig ist vor allem, sich auf die wesentlichen Anforderungen zu konzentrieren. Anforderungslisten mit mehreren hundert Anforderungen sind im Rahmen der Systemauswahl nicht sinnvoll, daher sollten die Anforderungen, die ERP-Systeme standardmäßig ohnehin enthalten, vermieden werden.

Die Anforderungen sollten tabellarisch zusammengetragen und in Kategorien untergliedert werden. Die funktionalen Anforderungen, die erfahrungsgemäß den umfangsreichsten Teil des Anforderungskatalogs ausmachen, sollten in Unternehmensbereiche (wie z. B. Einkauf, Vertrieb, Produktion) oder Systemmodule (z. B. CRM, PPS, SCM) weiter untergliedert werden. Weitere Anforderungskategorien sind z. B. technische Anforderungen wie notwendige Schnittstellen. Nachdem die Anforderungen entsprechend kategorisiert wurden, sollte eine Gewichtung (z. B. A – k.o.-Kriterium, B – wichtig und C – nice to have) erfolgen, um anschließend den Fokus auf die A- und B-Anforderungen zu legen. Den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern, die an der Anforderungsanalyse nicht aktiv beteiligt sind, sollten die Ergebnisse bereitgestellt werden.

Bild 1: Phasen der ERP-Auswahl.

Sukzessive Eingrenzung des Marktes

Vor allem für KMU ist der ERP-Markt sehr unübersichtlich. Allein in der DACH-Region existieren mehrere hundert Anbieter. Um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, helfen unabhängige Fachzeitschriften mit großen Marktübersichten oder auch anbieterneutrale Auswahlplattformen. Eine weitere Recherche im Internet oder auf Branchenmessen ist zudem empfehlenswert. Das Ergebnis der Markteingrenzung sollte eine „Longlist“ mit ca. 20 passenden Systemen sein. Dabei sollte vor allem auch auf die Brancheneignung und passende Referenzen geachtet werden.

Im Anschluss sollte der Anforderungskatalog, der idealerweise aus nicht mehr als 150 Anforderungen besteht, an die Anbieter der „Longlist“ verschickt werden. Es empfiehlt sich neben den Antwortmöglichkeiten „ja, vorhanden“ oder „nein, nicht vorhanden“ zudem die Möglichkeit anzubieten, die entsprechende Anforderung seitens des Anbieters im laufenden Projekt realisieren zu lassen. Dabei sollten die Anbieter dann eine Schätzung des Zusatzaufwandes mit angeben.

Auch während dieser Phase sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über den Stand der Aktivitäten zu informieren und weiterhin auf die Ziele, die mit der ERP-Einführung verbunden sind, hinzuweisen.

Bewertung der Rückläufer

Auf Basis der Rückmeldungen der angesprochenen Anbieter sollte dann eine „Shortlist“ mit den 3 bis 5 Anbietern erstellt werden, die mit ihren Systemen den höchsten Erfüllungsgrad auf Basis des Anforderungskatalogs aufweisen. Diese Anbieter sollten dann zu Anbieterpräsentationen eingeladen werden.

Vorbereitung der Anbieterpräsentationen

Zweck der Anbieterpräsentationen ist es, eine bessere Einschätzung zu erhalten, inwieweit sich die eigenen Unternehmensprozesse mit den ausgewählten ERP-Systemen abbilden lassen und zudem den Anbieter besser kennen zu lernen. Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn den Anbietern genau vorgegeben wird, welche konkreten Unternehmensszenarien sie mit dem System zeigen sollen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ein Vertriebsmitarbeiter des Anbieters ausgiebig zur Firmengeschichte und zu Erfolgsstorys referiert und die eigentliche Systempräsentation zu knapp oder mit unpassenden Beispielen ausfällt. Zur Vorbereitung der Anbieterpräsentationen gehören die Beschreibung von Szenarien, eine Zeitplanung sowie die Erstellung von Bewertungsbögen.

Die Unternehmensszenarien können bereits während der Anforderungserhebung aufgenommen und mit den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abgestimmt werden. Diese sollten so genau wie möglich beschrieben werden. Mit der Vorgabe dieser Szenarien kann gleichzeitig sichergestellt werden, dass nicht nur Vertriebsmitarbeiterinnen und Vertriebsmitarbeiter mit möglicherweise nicht ausreichendem Systemwissen an den Anbieterpräsentationen teilnehmen. Die Erfahrung zeigt, dass mit der Vorgabe der Unternehmensszenarien eher projekterfahrene Personen mit entsprechend tiefer Systemkenntnis zur Präsentation erscheinen. Insgesamt sollten die erstellten Szenarien wichtige Prozesse des Unternehmens darstellen. Neben diesen Szenarien sollten den Anbietern in Vorbereitung auf die Präsentationen ggf. auch Beispielstammdaten übermittelt werden. Weiterhin ist den Anbietern ein detaillierter, an den Szenarien oreintierter Zeitplan vorzugegeben.

Szenarien erstellen und intern abstimmen
Detaillierter Zeitplan für alle Anbieterpräsentationen
Termine der Anbieterpräsentationen intern abstimmen
Anbieter einladen

–              Termine abstimmen

–              Szenarien mit Beispielstammdaten und Zeitplan übermitteln

–              Um Projekt- und Zeitplan im Rahmen der Präsentation bitten

Moderatorin oder Moderator bestimmen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Abteilungen einladen
Bewertungsbögen anhand der Szenarien vorbereiten und zusätzliche Bewertungspunkte, wie z. B. Usability des Systems, Überzeugungskraft des Anbieters etc. aufnehmen
Präsentationen entlang des Zeitplans durchführen
Um ein Richtangebot bitten
Referenzen für evtl. spätere Referenzbesuche geben lassen
Präsentationen von allen Beteiligten bewerten lassen

Tabelle 1: Checkliste zur Vorbereitung und Durchführung der Anbieterpräsentation  [2].

Durchführung der Anbieterpräsentationen

An den Anbieterpräsentationen sollten unbedingt die späteren Nutzerinnen und Nutzer des Systems teilnehmen. Diese stellen häufig die entscheidenden Fragen zu den zu zeigenden Szenarien, da sie in höchstem Maße daran interessiert sind, wie ihre Aufgaben mit dem neuen ERP-System durchgeführt werden können. Zur anschließenden Entscheidungsfindung sollten anhand der Szenarien entsprechende Bewertungsbögen vorbereitet werden, die dann von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern während der Anbieterpräsentationen auszufüllen sind. Als weiteres Vergleichsinstrument dienen Richtangebote, die im Anschluss an die Anbieterpräsentationen angefordert werden.

Referenzbesuche und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen

Sollten mehrere Anbieter entsprechend hoch bewertet werden, sodass eine Entscheidung noch nicht erfolgen kann, können Referenzbesuche oder eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung dieser Systeme durchgeführt werden. Dabei sind wiederum im Rahmen des Change Managements Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Abteilungen zu involvieren und an der Entscheidung teilhaben zu lassen. Zur Vorbereitung der Referenzbesuche dienen Checklisten sowie die Ankündigung konkreter Themen.

Entscheidung

Als Basis zur Entscheidungsfindung dienen die Ergebnisse der Bewertungsbögen, die Kostenaufstellungen aus den Richtangeboten und ggf. die Ergebnisse der Referenzbesuche und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Mit der Entscheidung für einen Anbieter ist die Auswahlphase abgeschlossen. Die Entscheidung ist dann den gesamten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Unternehmens begründet mitzuteilen. Wichtig ist, dass die Entscheidung nachvollziehbar kommuniziert wird. In weiteren Schritten werden in einem Workshop gemeinsam mit dem Anbieter und Vertreterinnen und Vertretern der betroffenen Abteilungen die Anforderungen konkretisiert und zusammen die gewünschten Soll-Prozesse erarbeitet. Im Anschluss sollte der Anbieter in der Lage sein, ein Pflichtenheft sowie einen Zeitplan zu erstellen, welche die Basis für ein finales Angebot darstellen werden.

Literatur:

[1] Eggert, S.: Vorgehen zur erfolgreichen ERP-Auswahl., ERP Management, Marktführer I/2019, S. 9–11.

[2] Eggert, S.: 20 Tipps mit denen die ERP-Auswahl garantiert gelingt. WHITEPAPER, GITO Verlag, 2016.

[3] Eggert, S.; Gronau, N.: Modellbasierte Auswahl von ERP-Systemen. In: Controlling und ERP-Systeme, ZfCM – Zeitschrift für Controlling und Management, Gabler Verlag 2009.

[4] Eggert, S.: RoI-Betrachtungen bei der ERP-Entscheidung, ERP Management 3/2011, S. 38-40.

[5] Gronau, N.: Handbuch der ERP-Auswahl. GITO Verlag. 2016

Prof. Dr. Sandy Eggert ist Chefredakteurin der Zeitschrift und dem Informationsportal ERP Information und beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit dem ERP-Markt und der Auswahl passender Systeme für KMU. Seit 2013 lehrt sie als Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.

Kontakt

Prof. Dr. Sandy Eggert
Chefredakteurin
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