1. November 2025

Lesen Sie:

  • wie durch die Kombination von ERP-Daten und KI neue Marketingstrategien entstehen
  • welche Handlungsempfehlungen für den Einsatz von KI im Marketing gegeben werden können

KI‑gestütztes Marketing: Neue Strategien auf ERP‑Basis

Patrick Hedfeld, Dietmar Pfaff

Marketing steht an einem Wendepunkt: Kunden sind digital, anspruchsvoll, schnell. Standardkampagnen, Gießkannenprinzip und manuelle Segmentierung greifen oft zu kurz. Gleichzeitig existiert im Unternehmen ein oft ungenutzter Datenschatz: das ERP-System. Enterprise-Resource-Planning-Systeme (ERP) liefern umfassende Informationen zu Kundenverhalten, Lagerbewegungen, Retouren, Bestellungen, Zahlungsverhalten oder Deckungsbeiträgen. Diese strukturierten Daten bilden die Grundlage für Künstliche Intelligenz (KI) im Marketing – vorausgesetzt, sie werden sinnvoll verknüpft [1]. Erst durch die Kombination von ERP-Daten und KI entstehen neue, intelligente Marketingstrategien – hochgradig personalisiert, ereignisgesteuert, aber immer auf menschlicher Strategie basierend.

ERP-Systeme gelten seit Jahrzehnten als das Rückgrat betrieblicher Prozesse. Sie steuern Warenflüsse, Produktionsketten, Finanzbuchhaltung, Personal und Logistik – kurz: Sie bilden die operative Realität eines Unternehmens in digitaler Form ab. Ihre Rolle im Marketing hingegen wird in vielen Unternehmen noch immer unterschätzt oder gänzlich ignoriert. Dabei liegt in diesen Systemen ein enormer Datenschatz verborgen, der gerade für den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) im Marketing eine zentrale Rolle spielen kann.

Denn KI entfaltet ihr volles Potenzial nur dann, wenn sie auf saubere, strukturierte und kontinuierlich aktualisierte Daten zugreifen kann [2]. Genau das ist die Stärke moderner ERP-Systeme: Sie speichern konsistente, belastbare Informationen, die nicht nur transaktionsbezogen, sondern auch prozessorientiert sind – also über den bloßen Kauf hinaus Auskunft geben über Lieferzeiten, Rücksendungen, Reklamationen oder Zahlungsmodalitäten.

Zu den wichtigsten Daten, die aus dem ERP für das Marketing mittels KI nutzbar gemacht werden können, gehören unter anderem:

Kaufhistorie: Wann hat ein Kunde was, wie oft und in welcher Menge gekauft? Diese Daten sind der Schlüssel zur Ermittlung von Wiederkaufsraten, Produktaffinitäten und möglichen Up‑ oder Cross‑Selling‑Potenzialen. KI kann daraus individuelle Produktempfehlungen generieren oder voraussagen, wann ein Kunde wahrscheinlich wieder kaufen wird.

Retourenquote: Wer schickt häufig Produkte zurück? Auf welche Artikelgruppen trifft das besonders zu? Eine hohe Retourenquote kann auf Unzufriedenheit hinweisen – KI kann diese Muster erkennen und gezielte Rückgewinnungsmaßnahmen initiieren, bevor der Kunde endgültig abwandert.

Zahlungsverhalten: Welche Zahlungsmethoden werden bevorzugt, wie pünktlich zahlt ein Kunde, wie häufig kommt es zu Mahnungen? Auch solche Verhaltensmuster helfen beim Scoring von Kunden oder der Gestaltung individueller Zahlungsangebote.

Lagerbestände und Verfügbarkeiten: Welche Produkte sind verfügbar, wie lange dauert die Lieferung? In Kombination mit KI lassen sich hier dynamische Empfehlungen steuern – z. B. Produktalternativen anzeigen, wenn Artikel knapp werden, oder Angebote auf abverkaufsrelevante Lagerpositionen personalisieren.

Kundenlebenszyklus: Über ERP-integrierte CRM-Komponenten lässt sich nachvollziehen, welchen Status ein Kunde im Lebenszyklus hat – z. B. Neukunde, aktiver Stammkunde oder reaktivierbare Kartei. KI-Modelle können anhand dieser Daten passende Maßnahmen vorschlagen: Willkommensstrecken, Loyalty-Angebote oder Reaktivierungskampagnen.

Diese Daten sind nicht neu – sie waren im Unternehmen oft schon vorhanden, wurden aber selten konsequent für das Marketing genutzt. Erst durch die Verknüpfung mit Künstlicher Intelligenz wird es möglich, aus dieser statischen Datenbasis ein dynamisches, lernendes System zu machen, das Kunden besser versteht, Vorhersagen trifft und Empfehlungen ausspricht – automatisiert, aber datenfundiert.

Studien zeigen, dass Unternehmen, die ERP-Daten systematisch für KI-gestützte Marketingentscheidungen nutzen, deutlich höheren Conversion-Rates und Kundenbindung erzielen [3, 4]. Die Voraussetzung: eine funktionierende, gut gepflegte ERP-Infrastruktur und der Wille, Marketing als datenstrategische Disziplin zu begreifen.

Neue Marketingstrategien durch KI+ ERP

Die Verbindung von ERP-Daten mit KI eröffnet Marketingabteilungen nicht nur operative Erleichterungen, sondern ermöglicht auch strategisch völlig neue Herangehensweisen. Während klassische Marketingstrategien meist auf Zielgruppenannahmen, Erfahrungswerten und manuell gepflegten CRM-Daten beruhen, erlaubt die Kombination von ERP und KI eine datengetriebene, individuelle, situative und vorausschauende Kundenansprache entlang der gesamten Customer Journey.

Predictive Customer Journeys

Traditionelles Marketing geht oft linear vor: vom Erstkontakt über Information, Kaufentscheidung und Kundenbindung bis hin zur Wiederansprache. Die Realität ist jedoch fragmentiert – Kunden steigen jederzeit an unterschiedlichen Punkten ein und aus. KI kann auf Basis historischer ERP-Daten Muster erkennen, Wahrscheinlichkeiten berechnen und vorhersagen, wo sich ein Kunde gerade in seiner Journey befindet – und was als nächstes passieren könnte [5].

Beispiel: Ein Kunde bestellt seit Jahren regelmäßig alle vier Monate bestimmte Ersatzteile. Die KI erkennt diesen Rhythmus, das ERP liefert Lagerdaten und Kundenhistorie, und das Marketing spielt automatisch zwei Wochen vor dem erwarteten Bestelldatum eine personalisierte Erinnerungs-E-Mail aus – inklusive Rabatt auf das passende Zubehör. Die Maßnahme ist nicht generisch, sondern individuell getaktet, weil ERP und KI zusammenarbeiten.

Bild 1: KI-Marketing

Bild 1: KI-Marketing

Literatur

[1] Korapati, R. S. (2025). Leveraging AI-Driven Predictive Analytics in Modern ERP-Systems. International Journal of Scientific Research in Computer Science, Engineering and Information Technology.
[2] Sankuri, P. B. (2025). Modernizing ERP Data Systems for Data Science Integration. International Journal of Advances in Engineering and Management.
[3] McKinsey. (2023). The power of data-driven marketing.
[4] Gollangi, H. K., Galla, E., Kuraku, C., Madhavaram, C. R., & Rao, J. (2024). Data Engineering Solutions: The Impact of AI and ML on ERP-Systems. Nanotechnology Perceptions.
[5] Fathima, F., Inparaj, R., Thuvarakan, D., Wickramarachchi, R., & Fernando, I. (2024). Impact of AI-based predictive analytics on demand forecasting in ERP systems. SCSE 2024 Conference Proceedings.
[6] Salesforce. (2024). State of the Connected Customer Report.
[7] Khaing, M., & Htike, T. T. (2024). AI-Enhanced Workflow Automation within ERP-Systems. International Journal for Multidisciplinary Research.
[8] Capgemini. (2024). Transparency and ethics in AI-driven customer interactions.
[9] Pfaff, D. (2020). Praxishandbuch Marketing: Grundlagen und Instrumente. Campus Verlag.

Autor Patrick Hedfeld

Patrick Hedfeld studierte Theoretische Physik und Philosophie an der TU Darmstadt und an der Universidad de Salamanca. Nach seiner Dissertation über Kognitionspositionen bei Hegel ist er Publizist und Freier Dozent an der FOM Hochschule sowie an der Goethe Universität in Frankfurt am Main und hält dort Kurse zu KI und KI-Ethik. Hauptberuflich arbeitet er für eine Bank in Frankfurt am Main.

Patrick Hedfeld
Breslauer Straße 2a
61273 Wehrheim
E-Mail: patrick@hegelianer.de
www.patrick-hedfeld.de

Autor Dietmar Pfaff

Dietmar Pfaff ist seit 2009 Ehrenprofessor für Internationales Marketing in China und seit 2005 Hochschullehrer für Marketing und Medienwirtschaft an der Rheinischen Hochschule Köln. Außerdem ist er seit 1996 geschäftsführender Inhaber der infomarketing GmbH in Frankfurt am Main. Er hat 36 Jahre Erfahrung in Marktforschung, Daten- und Informationsanalyse sowie im strategischen Innovationsmanagement.