Kann ich ein ERP-System selbst auswählen
ERP-Auswahl mit oder ohne Berater?
Corinna Friebel-Fohrholz, Benedict Bender
Lesen Sie:
- ob eine ERP-Auswahl ohne externe Unterstützung denkbar ist
- welche Strategie Unternehmen dabei verfolgen sollten
Viele kleinere Mittelständler kennen die folgende Situation: Die bestehende Software passt nicht mehr, Prozesse laufen nicht digital, Daten werden doppelt gepflegt und die Mitarbeitenden sind notorisch unzufrieden mit der Situation. Gerade in kleineren mittelständischen Unternehmen ist die IT oft historisch gewachsen – aus Einzelentscheidungen, pragmatischen Zwischenlösungen oder individuellen Vorlieben. Ein CRM wurde irgendwann eingeführt, für die Buchhaltung gibt es DATEV, das Lager arbeitet mit einer Excel-basierten Lösung und das Personal nutzt ein eigenes HR-Tool aus der Cloud. Im Alltag funktioniert das vielleicht, aber im Zusammenspiel entstehen Medienbrüche, unnötiger Aufwand und oft versteckte Kosten, die sich über die Jahre vervielfachen.
Die Frage nach einem neuen ERP-System kommt immer wieder hoch, wird aber immer wieder beiseite geschoben. Zu wenig Zeit, zu wenig Ressourcen, keine Erfahrung und das Kundenprojekt geht doch vor. Bis es irgendwann nicht mehr gut läuft. Spätestens dann stellt sich die Frage: Können wir das eigentlich allein? Die Antwort darauf ist: vielleicht. Aber nur, wenn die Verantwortlichen bereit sind, systematisch zu denken, Prioritäten klar zu benennen und vielleicht an einigen wenigen Stellen Unterstützung zuzulassen.
IT-Strategie zuerst, nicht zuletzt
Bevor die Verantwortlichen über Anbieter, Schnittstellen oder Preise sprechen, sollte ein anderer Gedanke ganz oben stehen. Wohin soll sich das Unternehmen in den nächsten Jahren entwickeln? Soll das Unternehmen skalieren oder neue Märkte erschließen? Wie wirkt sich das auf die internen Prozesse aus? Welche bereits bestehenden Systeme erfüllen ihren Zweck und können bleiben, und welche sollen mit einem neuen System abgelöst werden?
Eine saubere IT-Strategie beginnt deshalb nicht mit der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes System, sondern mit einem klaren Bild. Dabei müssen sich die Verantwortlichen nicht zu früh auf eine bestimmte Architektur festlegen. Gerade in der Auswahlphase ist es hilfreich, verschiedene Szenarien mitzudenken. Es muss nicht immer das eine große integrierte ERP-System sein. Für einige Unternehmen ist ein stabiles ERP-Kernsystem in Kombination mit spezialisierten Lösungen die bessere Wahl, etwa wenn im Vertrieb ein echtes CRM benötigt wird, das tiefer geht als Standardfunktionen, oder wenn für die Erstellung von Etiketten im Versand eine Speziallösung die Anforderungen besser abdeckt.
Wichtig ist nur: Es braucht überhaupt ein Bild. Denn wer ohne IT-Strategie in die Auswahl geht, entscheidet meist auf Basis von Features und nicht auf Basis von Passung – und das führt erfahrungsgemäß zu Problemen.
Entscheidungsmethodik
In vielen Projekten ist der erste Anbieter schneller da als das erste Konzept. Das ist gefährlich, denn wer in Systeme einsteigt, bevor die Entscheidungsmethodik und die Anforderungen klar sind, verliert schnell den Überblick. Auch das passiert in kleinen Unternehmen häufiger als gedacht: Die ERP-Auswahl wird „nebenbei“ gemacht oder der Geschäftsführende fragt am Abend bei einem Netzwerktreffen andere Unternehmende, welche Systeme diese so im Einsatz haben.
Das kann gut gehen, meistens tut es das aber nicht. Eine funktionierende Auswahl braucht kein großes Projektteam, sondern Klarheit. Wer trifft wann welche Entscheidungen? Welche Kriterien gelten? Wird auf Basis von Workshops entschieden oder nach einer schriftlichen Bewertung? Gerade in kleinen Unternehmen hängt vieles an wenigen Personen. Die ERP-Auswahl ist dabei kein Projekt wie jedes andere. Sie greift tief in bestehende Prozesse ein, verändert Rollen und Zuständigkeiten und sie bindet Kapazitäten, die ohnehin schon knapp sind. Wenn das Projekt nicht bewusst priorisiert wird, wenn es im „Nebenbei“ stattfindet, droht es entweder zu versanden oder auf falscher Grundlage zu einer schnellen, aber teuren Entscheidung zu führen.

Bild 1: Strategische Fragestellungen
Ziele definieren und Prioritäten setzen
Ein System kann vieles, aber es ist nicht sinnvoll, alles gleichzeitig zu wollen. Und genau deshalb ist der Umgang mit Erwartungen so heikel. Die Geschäftsführung hofft auf Automatisierung, die Nutzer auf einfache Bedienung. Die kaufmännische Leitung will Kennzahlen auf Knopfdruck, das Lager endlich mobile Scanner und die Buchhaltung möchte ihr DATEV behalten. Wenn diese Erwartungen nicht frühzeitig auf den Tisch kommen und gegeneinander abgewogen werden, entsteht Frust. Und zwar nicht erst nach dem Go-live, sondern schon mitten in der Auswahl. Gerade wenn Unternehmen ohne Berater unterwegs sind, ist dieser Punkt kritisch. Denn externe Berater haben oft die Funktion, solche Erwartungskonflikte zu moderieren und sichtbar zu machen. Fehlt diese Instanz, braucht es umso mehr Offenheit im Team und klare Kommunikation.
Dipl.-Kffr. Corinna Friebel-Fohrholz ist Inhaberin und Geschäftsführerin der Glasholz GmbH. Sie hilft mittelständischen Unternehmen bei der Softwareauswahl und -einführung sowie bei der Erstellung einer passenden IT-Strategie. Dabei bringt sie umfassende Kenntnisse über den Softwaremarkt (insb. ERP, CRM, DMS, MES) für diverse Branchen mit.
Corinna Friebel-Fohrholz
Glasholz GmbH
Rudolf-Breitscheid-Str. 29
14482 Potsdam
E-Mail: c.fohrholz@glasholz.de
Dr. Benedict Bender ist Co-Founder der Sectorlens GmbH, dem Anbieter der Plattform Find-Your-Software. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der internationalen IT-Strategie- und Technologieberatung. Als Gründer, Autor und Managementberater unterstützt er Unternehmen dabei, ihr Geschäftsmodell und ihre IT-Strategie so auszurichten, dass sie dauerhaft wettbewerbsfähig bleiben.
Dr. Benedict Bender
Sectorlens GmbH
August-Bebel-Str. 89
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E-Mail: bender@find-your-software.de