1. November 2025

Foto Andrea Weichand

Andrea Weichand ist Senior Business Intelligence Analystin und
Dozentin für Datenkompetenz und Informationsmanagement.

Interview

Business Intelligence und Agile Datenkompetenz

Das nachfolgende Interview verdeutlicht, warum Datenkompetenz als Schlüsselkompetenz der Zukunft angesehen werden kann, wie Datenkultur und Datenstrategie im Unternehmen verankert werden können und was die zentralen Dimensionen der BI-Arbeit sind.

Frau Weichand, Sie beschreiben Business Intelligence (BI) als das „Herz des unternehmerischen Handelns“, das Daten im Unternehmen zum Fließen bringt und eine Brücke zwischen Fachabteilungen und IT schlägt. Worin liegt aus Ihrer Sicht der zentrale Unterschied zwischen BI und klassischem Berichtswesen?

Business Intelligence pumpt die Daten wie ein Herz an die richtigen Stellen und versorgt die einzelnen Bereiche mit Informationen und Insights, die einzelne „Organe“ für ihre Aufgaben brauchen.

Als ich vor zwölf Jahren zum ersten Mal vom Controlling ins Business Intelligence wechselte, wurde der Unterschied sehr deutlich. Als Controllerin habe ich klassisches „Copy-Paste-Reporting“ betrieben. Das bedeutet, dass wir Berichte in Excel erstellt und aufwendig formatiert und kommentiert haben, die sich jemand irgendwann überlegt hatte. Der Erstellungsprozess dauerte rückblickend einfach viel zu lange, u. a., weil ich auf die Daten gewartet habe, die erstmal durch eine andere Person, meist aus der IT, bereitgestellt werden mussten.

Es kam zu Flüchtigkeits- oder Formelfehlern. Diese waren nur erkennbar durch ein hohes Maß an Misstrauen bei der Überprüfung. Am Ende wurden die Ergebnisse in PowerPoint kopiert und es blieb nur zu hoffen, dass nicht doch ein Fehler übersehen wurde oder jemandem die Daten zu alt waren.

Schon am ersten Tag im Business Intelligence war Excel für mich nur noch ein Tool unter anderen. Meine Aufgabe war es unter anderem, tägliche Berichte für fünf Abteilungen pünktlich bereitzustellen, damit die Kollegen bei Arbeitsbeginn direkt in die Performance-Optimierung einsteigen konnten. Das Unternehmen hätte mit klassischen Monatsberichten nicht existieren können. Manuelle Routinen wären hier undenkbar gewesen. Die Daten wurden aus verschiedenen Quellen zusammengefügt und waren am nächsten Morgen auf Knopfdruck verfügbar. Die aggregierten Auswertungen selbst waren flexibel, sodass nach den relevanten Dimension und Werten tiefergehende Analysen möglich waren.

Ihr Buch stellt heraus, dass die Zukunft der Datenarbeit in datenbankbasierten Ansätzen liegt und Technologien wie SQL und ETL zentrale Werkzeuge zur Automatisierung bieten. Warum ist der Übergang von Excel zu professionellen, datenbankgestützten Lösungen so essenziell – und welche konkreten Vorteile bieten diese Technologien im Hinblick auf Effizienz und Skalierbarkeit?

Excel ist der perfekte Einstieg in die Datenanalyse und vor der KI wahrscheinlich die einflussreichste Erfindung in der digitalen Welt. Trotz scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten bringt es uns an Grenzen, die uns das Leben einfach unheimlich schwer machen. Wenn überhaupt, lernen wir in Excel das Streben nach der perfekt verschachtelten Formel. Das Problem dabei: Es entstehen monströse Excel-Dateien, die uns und spätestens unsere Urlaubsvertretung zur Verzweiflung bringen. Am Anfang ist eine Tabellenkalkulation noch überschaubar, sie passt auf eine Bildschirmseite. Sobald sie diese übersteigt, wird jedes Filtern, Sortieren und Verformeln zur Fehlerfalle. Dabei hat Excel dafür längst etablierte Lösungen, die auch erlauben, mit umfangreichen Datensätzen umzugehen.

Und was uns oft nicht bewusst ist: Daten, die wir als csv-Datei bekommen, sind meist aus einer Datenbank exportiert und haben damit die ideale Form, um mit einer Pivot-Tabelle hochflexibel ausgewertet zu werden. Besser wäre noch, den Export wegzulassen und die Auswertung direkt mit der Tabelle im Data Warehouse zu verbinden. Dieses Pivot-Prinzip habe ich bereits in meinem ersten Job 2007 umfangreich angewendet und es funktioniert heute weiterhin sehr gut. Ich weiß gar nicht, warum die Pivot-Tabelle so einen schlechten Ruf hat. Wer einmal das Prinzip in Excel verstanden hat, wird strukturierte Daten sehr schnell und einfach auswerten können. Zudem ist das die Grundlage, um in vielen anderen BI- bzw. Reporting-Tools Bericht zu gestalten. Tools wie Power BI oder Tableau werden interessant, wenn es um umfangreiche Automatisierung und Skalierung geht.

Hier kommen dann auch Begrifflichkeiten wie SQL (Structured Query Language) und ETL (Extract-Transform-Load) ins Spiel. SQL benötigen wir in Datenprozessen, um die relevanten Daten aus den unterschiedlichen Tabellen in der Datenbank abzurufen.

ETL-Prozesse sorgen für die Automatisierung der Reportings. Am Anfang steht z. B. die SQL-Abfrage, mit der die Daten extrahiert werden. Es folgt die Transformation der Daten: Sie werden angereichert, verknüpft, übersetzt, aggregiert etc. und klassisch in eine Tabelle geladen. Diese Prozesse laufen z. B. nächtlich oder mehrmals täglich. Einmal ordentlich aufgesetzt, erhöht diese Automatisierung nicht nur die Effizienz und Transparenz, sie reduziert Zeitverschwendung, Fehler und Frust. Nur so können wir uns unseren eigentlichen Aufgaben und dem technologischen Fortschritt widmen.

Wie würden Sie Datenkompetenz in wenigen Worten erklären? Und warum betrachten Sie sie als Schlüsselkompetenz der Zukunft – vergleichbar mit Lesen oder Rechnen?

Ganz einfach gesagt, ist es die Balance und der Spaß im Umgang mit den Daten, Informationen und spannenden Fragestellungen, die im eigenen Umfeld relevant sind. Etwas fachlicher ausgedrückt, sind wir datenkompetent, wenn wir Datenprozesse verstehen oder sogar selbst gestalten können. Dabei geht es nicht nur um die Technik! Genauso wie soziale Kompetenz oder Medienkompetenz wird Datenkompetenz – in welcher Form auch immer sie für die Einzelnen relevant ist – zu unserem persönlichen Wohlbefinden beitragen.

Sie warnen vor dem Risiko, wenn Datenkompetenz im Unternehmen nur bei wenigen Experten verankert ist. Welche konkreten Gefahren ergeben sich daraus für die Organisation – und wie kann der Aufbau breiter Datenkompetenz zur Risikominimierung und Zukunftssicherung beitragen?

Für die ExpertInnen im Unternehmen ist das zunächst keine schlechte Sache. Sie sind gefragt. Allerdings gelangen sie so schnell an den Rand ihrer Kapazitäten. Wenn es nur die eine Person im Unternehmen gibt und sie fällt vorübergehend oder ganz aus, gefährdet das womöglich ein geschäftskritisches Datenprodukt.

Eine neue Analyse der Daten in einer normalen csv-Datei darf den Kollegen keine Angst machen. Hier geht es um Basiswissentechiken wie die Pivot-Tabelle in Excel. Wir sollten allerdings in der Lage sein, den Datenprozess zu erschließen. Und bevor wir Excel überhaupt öffnen, stellen wir uns folgende Fragen: Wer braucht die Auswertung, wofür, warum und für wen? Existiert diese oder eine ähnliche Auswertung bereits? Woher kommen die Daten? Sind sie aktuell und vollständig? Muss ich das wirklich manuell auswerten?

Auch so manche Datenexperten haben es vielleicht nie gelernt, diese Fragen zu stellen oder sie haben keine Zeit mehr. Leider geht es dann nur darum, wer am lautesten nach der nächstbesten Analyse schreit.

Dann sind wir schnell beim Thema Datenkultur und Datenstrategie oder wie holen wir technisch, organisatorisch, menschlich, wirtschaftlich, zukunftstauglich das Beste schonend aus unseren Daten und Ressourcen raus.

In meinem Buch gibt es den Eisberg der Datenkompetenz. Demnach ist der Großteil der Datenarbeit unterhalb der Meeresoberfläche unsichtbar. Ein entsprechendes Bewusstsein im Unternehmen für Datenquellen, Datenqualität und Datenaufbereitung vermeidet viele Missverständnisse.

Das könnte bedeuten:

Auch die Nicht-Experten wissen, was die Quelle der Daten ist und wie sie diese auswerten und fundierte Entscheidungen treffen können. Anforderungen werden klar mit einem Warum und Wofür benannt. Sie sind konstruktiv kritisch, wenn sie Datenprodukte verwenden und entwickeln zusammen mit den Spezialisten die Prozesse und Inhalte der Datenprodukte weiter.

Sowohl die individuelle als auch die organisationale Entwicklung von Datenkompetenz werden thematisiert. Was kann jeder Einzelne tun, um sich in diesem Bereich weiterzuentwickeln – und welche Verantwortung liegt bei Unternehmen, um eine datenkompetente Kultur aktiv zu fördern?

Die Schwierigkeit liegt oft da, wo sich über Jahre und manchmal Jahrzehnte Gewohnheiten, auch in Form von Excel-Tabellen, etabliert haben und nie kritisch hinterfragt wurden. Das kann dazu führen, dass Initiativen zur Steigerung der Datenkompetenz auf emotionalen Widerstand stoßen. Wenn es Kollegen gibt, die gerne mit Zahlen und Tabellen arbeiten und an Neuem interessiert sind, würde ich diese Personen praktisch in die Entwicklung von Datenprozessen und Datenprodukten einbeziehen. Und dann geht es darum, ob die Mitarbeitenden zeitgemäß ausgebildet sind. Ich halte Konferenzen, egal ob branchen- oder fachbezogen für unumgänglich, um mit neuen Themen und Trends und anderen Menschen in Kontakt zu kommen und die Vorstellungskraft zu trainieren. Weniger kostenintensiv sind Podcasts, die aktuelle, aber auch klassische Herausforderungen oft aus der Praxis heraus beleuchten.

Sie definieren vier zentrale Dimensionen der BI-Arbeit: Datenprodukt, Mensch, Technik und Prozess. Welche besondere Rolle spielt dabei die Dimension „Mensch“?

BI ist oft im Bereich der IT angesiedelt. Das kann schon historisch betrachtet zu Spannungen führen.
Das Schöne in meiner Rolle als Business-Intelligence-Analystin war und ist, dass ich zwischen Fachbereich oder Kunde und IT handeln und vermitteln konnte. Oft haben beide Seiten einfach aneinander vorbeigeredet. Der eine stellt so viele Fragen, während der andere die für ihn plausible Lösung umgesetzt hat. Diese Missverständnisse ließen sich auflösen, wenn wir uns auf den kreativen Denkprozess bewusst einlassen würden. Dieser besteht aus vier Elementen: Klarstellen, Ideen generieren, Entwickeln und Umsetzen. Diese vier gleichermaßen bedeutsamen Elemente helfen uns vor allem, wenn wir vor großen, aber auch alltäglichen Herausforderungen stehen. Wenn jemand keine Notwendigkeit im Finden neuer Ideen sieht, kann es für sein Gegenüber oder auch für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens von großer Bedeutung sein. Wir denken nicht nur unterschiedlich, wir haben auch unterschiedliche Expertise. Hier kann Datenkompetenz neu gedacht werden: Was wäre, wenn wir nicht den Anspruch haben, alles können zu müssen, sondern schauen, wie wir uns im Unternehmen auf Augenhöhe ergänzen. Dazu benötigen wir jedoch ein gemeinsames und eben menschliches Verständnis von Zielen, Erwartungen und Zusammenarbeit.

Datenprodukte beschreiben Sie als nutzerorientierte Ergebnisse, die echten Mehrwert schaffen – vom Standardreport bis zum interaktiven Dashboard. Welche Kriterien machen ein „gutes“ Datenprodukt aus?

Das Datenprodukt soll einen bestimmten Zweck für eine bekannte und relevante Zielgruppe enthalten. Es soll ein reales Problem gelöst und bestenfalls eine Entscheidung herbeigeführt werden. Im Austausch mit den Kunden, die es nicht nur extern, sondern auch intern gibt, gilt es zu klären: Was ist der Kontext, der Anlass, das Ziel und das Erfolgskriterium? Welche Fragen müssen geklärt werden? Gibt es eine Historie, Erfahrungswerte, Definitionen und wie gestalten wir das Produkt so einfach und selbsterklärend wie möglich? Wie stellen wir eine proaktive Kommunikation, Testing, Training, Feedback und einen guten Umgang mit Fehlern und Erfolgen sicher?

Besonders wichtig ist an dieser Stelle, dass die spätere Auswertung bei jeder Veränderung im Unternehmen, egal ob Tool, Prozess, Produkt etc., von Anfang an mitgedacht wird. Die Integration von neuen Datenprodukten in eine bestehende, historisch gewachsene Systemlandschaft ist in der Regel nicht trivial. Die Datensammlung muss gewährleistet und auswertbar sein. Dafür braucht es den Dialog mit den Nutzern, auch um Erwartungsmanagement zu betreiben.

BI und Agile Datenkompetenz werden in Ihrem Buch eng mit der Digitalen Transformation verknüpft. Wie genau sehen Sie diesen Zusammenhang – und inwiefern helfen BI und agile Methoden Unternehmen dabei, eine zukunftsfähige Datenstrategie zu entwickeln?

Daten sind das Lebenselixier, das Blut der Unternehmen. Denken wir uns mal die ERP- und CRM-Systeme sowie die Excel-Tabellen dieser Welt weg. Digitalisierung und Daten gehen Hand in Hand. Umso weiter die digitale Transformation voranschreitet, desto mehr Datenpunkte entstehen. Die Frage ist, wie lange wir mit unserer gelernten Trägheit noch wettbewerbsfähig sind. Und was ist das Gegenteil von träge, starr und unflexibel? Die Agilität. Deswegen wundere ich mich sehr stark, wenn das agile Mindset weiterhin belächelt wird. Agilität bedeutet nicht einfach zusätzliche Meetings, sondern ist ein Zusammenspiel aus Werten, Prinzipien, Methoden und Werkzeugen. Werden Entscheidungen aus einer Laune heraus getroffen oder sind sie anhand von Werten wie Mut, Transparenz, Kreativität und Spaß nachvollziehbar? In diesen agilen Meetings werden aus Einzelkämpfern unter den richtigen Umständen hochperformante Teams.

Und diese aufgeklärten, motivierten Teams sind auch in der Lage, realistische Strategien auszuarbeiten und vor allem umzusetzen. Top-down, Wasserfallansätze und mangelnder Fokus bremsen die Dynamik meiner Erfahrung nach aus. Strategie und Agilität, vor allem in der Datenarbeit, sind ein Must-have.

Veränderungsprozesse wie die Einführung von BI und die Stärkung der Datenkompetenz stoßen oft auf strukturelle und kulturelle Barrieren. Mit welchen Widerständen haben Sie in der Praxis zu tun?

Was ich lange unterschätzt habe, ist das Thema Marketing, und zwar bezogen auf die Komplexität und Transparenz der Datenarbeit und ihrer Ergebnisse. Data-Business-Partner, Datenproduktmanager oder auch die Förderung von Datentalenten aus den Fachbereichen hat sich in meiner Wahrnehmung noch nicht etabliert. Die technischen Aspekte stehen zu sehr im Mittelpunkt und schrecken Kollegen ab.

Ganz im Sinne des Mottos „Tue Gutes und sprich darüber“ können wir Menschen mit den entstehenden Datenprodukten abholen, begeistern, einbeziehen und mit den richtigen Informationen versorgen und Verantwortung übertragen. Das Ziel ist eine wertschätzende Datenkultur mit wachsender organisatorischer und individueller Datenkompetenz im Unternehmen und das kann eines Tages sogar zu neuen Geschäftsmodellen führen. Hier kommen die Stichworte „lebenslanges Lernen“ und „Kreativität“ ins Spiel. Denn beides ermöglicht uns gemeinsam, proaktiv und mutig die eigene Zukunft und die des Unternehmens zu gestalten.