22. Juni 2025

Die Zukunft der ERP-Systemauswahl: Wie Künstliche Intelligenz die ERP-Auswahl verändert und Chancen für Beratungsprozesse bietet

Benedict Bender, Christian Glaschke

Lesen Sie:

  • wie KI die ERP-Auswahl beschleunigen und zum Projekterfolg beitragen kann
  • warum Beratung wichtiger wird und wie sich die Rolle von Beratern durch den Einsatz intelligenter Systeme verändert

Die Auswahl eines ERP-Systems zählt zu den zentralen Weichenstellungen der digitalen Weiterentwicklung eines Unternehmens. ERP-Systeme steuern zentrale Geschäftsprozesse und prägen Effizienz, Skalierbarkeit und Anpassungsfähigkeit nachhaltig. Sie bestimmen, wie Informationen verarbeitet, Entscheidungen getroffen und Abläufe koordiniert werden. Damit sind sie die Basis für operative Exzellenz und strategische Handlungsfähigkeit. Unabhängig von der Unternehmensgröße ist die ERP-Auswahl komplex. Gerade im Mittelstand fehlt jedoch häufig die Erfahrung, um den Prozess methodisch und fundiert zu gestalten. Gleichzeitig handelt es sich um eine langfristige Entscheidung: Systeme bleiben häufig zehn Jahre und länger im Einsatz. Entsprechend weitreichend sind die Fragen, die sich stellen: Welche Prozesse sollen künftig digitalisiert werden? Wie viel Standardisierung ist sinnvoll – und wo braucht es Differenzierung?

Beispiel: Ein mittelständisches Unternehmen hatte bislang ein selbst entwickeltes ERP-System im Einsatz. Da die ursprünglichen Programmierer inzwischen nicht mehr verfügbar sind, lässt sich die Lösung nur schwer an neue Anforderungen anpassen. Gleichzeitig fehlt dem Unternehmen die Erfahrung im Umgang mit dem breiten Markt an Standard-ERP-Anbietern. An dieser Stelle kann eine KI-gestützte Vorauswahl helfen, innerhalb kurzer Zeit eine belastbare Shortlist zu erstellen und die Vielfalt der möglichen Lösungen zu strukturieren.

Erschwerend kommt die Marktstruktur hinzu: Allein im deutschsprachigen Raum existieren mehr als 350 ERP-Systeme, viele mit branchenspezifischem Fokus und unterschiedlichen Technologieansätzen. Ohne systematische Methodik und breites Erfahrungswissen sind fundierte Vergleiche kaum möglich [1]. Die Folgen: Auswahlprozesse dauern lange, binden viele interne Ressourcen – und enden nicht selten in subjektiven Entscheidungen. Die Konsequenzen reichen von unnötiger Komplexität über Akzeptanzprobleme bis hin zum Scheitern ganzer Einführungsprojekte.

Gleichzeitig ist die Auswahl eine Chance. Sie erlaubt, Prozesse zu überdenken, zu standardisieren oder gezielt weiterzuentwickeln – und damit die Organisation auf eine robustere, zukunftsfähige Basis zu stellen. Gerade unter dem Druck von Fachkräftemangel, Digitalisierung und Automatisierung wird eine strategisch gestaltete Systemlandschaft, meist mit dem ERP als zentraler Komponente, zum Wettbewerbsvorteil.

Zur Unterstützung stehen heute verschiedene Wege offen: interne IT-Projektverantwortung, externe Auswahlberatung – und zunehmend auch KI-gestützte Werkzeuge. Letztere versprechen, typische Schwächen im Auswahlprozess zu adressieren: Informationsüberlastung, mangelnde Struktur oder fehlende Vergleichbarkeit.

Dieser Beitrag zeigt, welche Aufgaben KI im ERP-Auswahlprozess tatsächlich übernehmen kann, wo menschliche Beratung weiterhin unerlässlich bleibt, und wie sich daraus die Rolle des Beraters neu definiert. Anhand konkreter Szenarien erfahren Fachpraktiker, wann eine autonome Lösung sinnvoll ist, wann ein hybrider Ansatz mit KI und Berater zum Ziel führt, und welche Voraussetzungen Unternehmen dafür schaffen müssen.

Was KI im Auswahlprozess leisten kann – und was (noch) nicht

Die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in der ERP-Auswahl ist Gegenstand intensiver Diskussion – in der Praxis sowie in der Forschung. Erste Experimente, etwa mit generativer KI wie ChatGPT, zeigen: Die Systeme liefern sprachlich überzeugende Antworten, erfüllen aber nicht die Anforderungen an fundierte, methodisch abgesicherte Auswahlprozesse [2, 3]. Die Gefahr liegt in der scheinbaren Stringenz solcher Ausgaben – die fachlich häufig unvollständig, wenig spezifisch und ohne Kontextbezug sind.

Aktuell bilden generative Sprachmodelle keine strukturierte Auswahlmethodik ab. Sie berücksichtigen weder komplexe Abhängigkeiten noch unternehmensspezifische Rahmenbedingungen. Damit sind sie als alleinige Grundlage für Systementscheidungen ungeeignet.
Wesentlich relevanter sind spezialisierte, domänenspezifische KI-Technologien. Diese setzen auf strukturierte Daten, standardisierte Prozesse und eine systematische Vorgehensweise. Sie unterstützen gezielt bei der Analyse, bei der Bewertung technischer Merkmale und bei der Dokumentation von Auswahlkriterien. Solche Lösungen adressieren zentrale Herausforderungen im Auswahlprozess – etwa die Strukturierung großer Informationsmengen oder die Identifikation relevanter Unterschiede zwischen Systemen.

Die Potenziale zeigen sich vor allem in der Anforderungsanalyse (automatisierte Ableitung und Priorisierung branchentypischer Anforderungen), der Marktübersicht (systematische Erfassung relevanter Systeme), im Matching (strukturierter Abgleich von Anforderungen und Funktionen) sowie in unterstützenden Aufgaben wie der Dokumentation.

Grenzen bestehen insbesondere in Bereichen, in denen Kontextverständnis erforderlich ist. Darüber hinaus erfordert ein KI-gestützter Ansatz eine verlässliche Datenbasis und kontinuierliche Pflege: Wenn die KI-Algorithmen auf veralteten oder lückenhaften Anbieterinformationen basieren, besteht das Risiko, dass Systeme entweder fälschlich empfohlen oder zu Unrecht ausgeschlossen werden.

Durch eine KI können typische Anforderungen einer Branche abgeleitet werden. Dennoch hat jedes Unternehmen spezielle Prozesse und Gepflogenheiten, die es auszeichnen. Eine besondere Art der Kalkulation, die Art zu fertigen oder schlicht das Mindset machen ein Unternehmen erfolgreich. Diese individuellen Anforderungen sind entscheidend dafür, ob ein ERP-System zum Unternehmen passt.

Auch schon vor Beginn eines Projektes ist der Mensch gefordert, denn eine Auswahl erfolgt nicht willkürlich. Es kann Sinn machen, erstmal mit dem bestehenden Anbieter zu sprechen. Oft ist das aktuelle System schlecht eingeführt oder geschult worden und verursacht dadurch Probleme. Das sind nur zwei Beispiele dafür, wo Beratung weiterhin notwendig sein wird.

Die größten Potenziale einer ERP-Einführung liegen nicht in der Technologie selbst, sondern in der Gestaltung der Organisation. Aufbau- und Ablauforganisation lassen sich durch ERP-Systeme beeinflussen, doch das setzt voraus, dass diese Potenziale erkannt und gezielt gehoben werden. Dies erfordert Reflexion, Erfahrung und methodische Begleitung.

Vor diesem Hintergrund lassen sich drei grundsätzliche Nutzungsformen unterscheiden:

  • Der Einsatz generativer KI durch Unternehmen selbst – derzeit nicht tragfähig für fundierte Entscheidungen
  • Die KI-gestützte Auswahl unter Mitwirkung von Experten
  • Die vollständig autonome Auswahl durch spezialisierte Systeme

KI als vollständige Lösung: Beispiel Find-Your-Software

Während generative KI häufig an den Anforderungen strukturierter Auswahlprozesse scheitert, zeigen innovative Systeme wie Find-Your-Software, dass eine weitgehend autonome ERP-Auswahl technisch möglich ist – vorausgesetzt, sie basiert auf einem multimodalen Ansatz. Dabei werden unterschiedliche KI-Methoden wie Sprachverarbeitung, regelbasierte Modellierung, maschinelles Lernen und domänenspezifisches Wissen kombiniert.

Im Unterschied zu Sprachmodellen, die rein textbasiert agieren, arbeiten solche Lösungen mit strukturierten Daten, standardisierten Prozessschritten und nachvollziehbaren Bewertungslogiken. Sie sind nicht als allgemeines Werkzeug, sondern als spezialisierte Entscheidungsunterstützung konzipiert – mit Fokus auf Relevanz, Konsistenz und Transparenz.

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein mittelständisches Fertigungsunternehmen nutzt Find-Your-Software, um eine erste ERP-Vorauswahl zu treffen. Nach Eingabe der Unternehmens-URL analysiert das System automatisch öffentlich zugängliche Informationen – darunter das Geschäftsmodell, Produktspektrum, Branchenschwerpunkt, Marktposition und auch das Wettbewerbsumfeld. Auf dieser Basis erstellt die Plattform ein strukturiertes Bedarfsprofil. Innerhalb von sechs Minuten erhält das Unternehmen eine Shortlist passender ERP-Systeme.

Ein typischer Ablauf in einem autonomen Auswahlprozess umfasst folgende Phasen:

Bedarfserhebung
Öffentlich zugängliche Informationen wie z. B. Inhalte auf der Unternehmenswebseite oder branchenspezifische Daten dienen der Voranalyse. Die KI erkennt Muster in Geschäftsmodellen, Zielmärkten oder Produktportfolios und generiert ein erstes Bedarfsprofil. Diese automatisierte Herleitung bildet die Grundlage für die folgenden Schritte.

Ableitung des Anforderungskatalogs
Basierend auf dem Bedarf identifiziert die KI typische Anforderungen. Sie unterscheidet zwischen allgemeinen Anforderungen und solchen, die in der konkreten Situation besonders differenzierungsrelevant sind. Damit wird der Fokus auf die Kriterien gelegt, die im Auswahlprozess wirklich entscheidungsrelevant sind.

Marktscreening
Die Systemlandschaft wird mithilfe eines kontinuierlich gepflegten Datenbestands analysiert. Anbieterprofile, Funktionsbeschreibungen und Integrationsmöglichkeiten werden automatisiert erfasst, ausgewertet und in eine strukturierte Vergleichsform überführt. So entsteht eine belastbare Shortlist.

Matching
Im Matching werden die zuvor erarbeiteten Anforderungen mit dem umfassenden Datenbestand verfügbarer ERP-Systeme abgeglichen. Dabei entsteht ein Ranking der Systeme, das auf die spezifischen Bedarfe des Unternehmens zugeschnitten ist. Bewertet wird nach vordefinierten Kriterien wie Brancheneignung, funktionaler Abdeckung oder technologischer Ausrichtung. Ziel ist es, die am besten passende Systeme transparent und nachvollziehbar einzuordnen – als Grundlage für die spätere Auswahlentscheidung.

Sie lesen einen Auszug aus diesem Fachbeitrag. Den kompletten Beitrag lesen Sie im E-Journal der ERP Information 2/2025:

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Literatur

[1] Bender, Benedict/Norbert Gronau: Auswahl von ERP-Systemen im Kontext von Individuallösungen, in: ERP Management, 1/2020.
[2] Friebel-Fohrholz, Corinna/Justin Heiß: Machen ChatGPT und Co. ERP Auswahlberater arbeitslos – eine Fallstudie, in: Glasholz GmbH, 2024.
[3] Kolb, Julian/Axel Winkelmann: Künstliche Intelligenz auf dem Prüfstand: Wie ChatGPT bei der ERP-Auswahl abschneidet, in: ERP Management, 2024.

Autorenfoto Dr. Benedict Bender, Sectoriens GmbH

Dr. Benedict Bender ist Co-Founder der Sectorlens GmbH, dem Anbieter der Plattform Find-Your-Software. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der internationalen IT-Strategie- und Technologieberatung. Als Gründer, Autor und Managementberater unterstützt er Unternehmen dabei, ihr Geschäftsmodell und ihre IT-Strategie so auszurichten, dass sie dauerhaft wettbewerbsfähig bleiben.

Dr. Benedict Bender
Sectorlens GmbH
E-Mail: bender@find-your-software.de

Christian Glaschke
Glasholz GmbH
E-Mail: c.glaschke@glasholz.de

Autorenfoto Christian Glaschke, Geschäftsführer Glasholz GmbH

Christian Glaschke ist Geschäftsführer der Glasholz GmbH, die auf transparente und nachhaltige ERP-Beratung spezialisiert ist. Mit umfassender Erfahrung in der Gestaltung von IT-Architekturen begleitet er mittelständische Unternehmen bei der Auswahl und Einführung passender ERP-Systeme.