Reifegrad bewerten: Mit DigiTAMM zur erfolgreichen Digitalen Transformation

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Sames, G.; Leyh, C. (2024): Reifegrad bewerten: Mit DigiTAMM zur erfolgreichen Digitalen Transformation. DPI Verlag, In: ERP Information 4/2024, S. 23–26

https://doi.org/10.58678/erp-information_24-4_23-26

Lesen Sie,

  • wie das Reifegradmodell DigiTAMM Unternehmen dabei unterstützt, ihren aktuellen Digitalisierungsstand zu bestimmen
  • wie Unternehmen darauf aufbauend effektive Digitalisierungsstrategien entwickeln und umsetzen können
ERP Information 4/2024 Sames/Leyh, Titelbild

Die Gesellschaft erlebt heute eine rasante Entwicklung des digitalen Wandels. Staatliche Einrichtungen, private Haushalte und Unternehmen verändern sich durch die zunehmende Verbreitung und das schnelle Wachstum digitaler Technologien. Vor allem für Unternehmen ist es wichtiger denn je, sich auf IT-gestützte Fähigkeiten verlassen zu können und auf ein tiefes Verständnis der Informationstechnologie (IT) im Allgemeinen sowie digitaler Tools und digitaler Innovationen im Speziellen bauen zu können.

Die technologischen Möglichkeiten, insbesondere die Verschmelzung der physischen mit der digitalen Welt, führen zu grundlegenden Paradigmenwechseln in allen Branchen. Zudem beeinflusst die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft auch die tägliche Arbeit in Unternehmen erheblich. Um auf den (globalen Märkten wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sich nahezu alle Unternehmen einer zunehmenden Digitalen Transformation unterziehen [1, 2, 3, 4]. Studien der Technischen Hochschule Mittelhessen [5, 6] zeigen jedoch, dass die Digitalisierung insbesondere bei klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) nur langsam voranschreitet. Dies wird auch durch den aktuellen Digitalisierungsindex des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) bestätigt [7].

Die Digitalisierung ist seit jeher ein besonders komplexes Thema mit vielen technisch geprägten Begriffen. Vielen Unternehmen fehlt eine klare Ordnungsstruktur, um diese Begriffe und Technologien einzuordnen. Zudem haben sie oft keine valide Einschätzung ihres eigenen Digitalisierungsgrades und ihrer digitalen Kompetenzen. Eine der grundlegenden Herausforderungen der Digitalen Transformation besteht daher darin, den eigenen Digitalisierungsstand einzuschätzen und zu bewerten. Dies ist ein essenzieller Ausgangspunkt, um zu erfassen, welche digitalen Tools in welcher Weise und zu welchem Zweck sowie welche digitalen Kompetenzen für das eigene Unternehmen benötigt werden.

Daher haben wir ein Evaluations-Tool (das Reifegradmodell DigiTAMM – Digital Transformation Assessment Maturity Model) entwickelt, das es Unternehmen ermöglicht, sich in Hinblick auf die Anforderungen der Digitalen Transformation und Industrie 4.0 einzuschätzen und zu bewerten. DigiTAMM ist eine Weiterentwicklung des Reifegradmodells zur Digitalisierung und Industrie 4.0 der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) [8].
Im weiteren Verlauf stellen wir mit DigiTAMM eine Systematik vor, die eine Ordnungsstruktur in die komplexen und vielfältigen Begrifflichkeiten in den Themengebieten von Digitaler Transformation, Digitalisierung und auch von Industrie 4.0 bringt.

Überblick über DigiTAMM

Unser Reifegradmodell DigiTAMM basiert auf der Logik des „Werkzeugkasten Industrie 4.0“ des VDMA [9], erweitert jedoch dessen Fokus. Während der VDMA-Ansatz sich ausschließlich auf Produkte und Produktion konzentriert und dabei wichtige Aspekte einer ganzheitlichen Betrachtungsweise der Digitalen Transformation unbeachtet lässt, haben wir Anpassungen und Erweiterungen vorgenommen, um einen umfassenderen Blickwinkel für die Digitale Transformation zu bieten.

DigiTAMM erweitert den ursprünglichen Rahmen mit den zwei Kategorien Produkte und Produktion um die Kategorien IT-Organisation und Prozesse, Mitarbeiter und IT-Sicherheit. Jede Kategorie beinhaltet mehrere Merkmale, die jeweils in fünf Ausprägungsstufen beschrieben werden. Dabei steht Ausprägungsstufe 1 für die schwächste Form der Digitalisierung des jeweiligen Merkmals innerhalb der jeweiligen Kategorie und Ausprägungsstufe 5 für die höchste.

Im Folgenden werden die fünf Kategorien mit ihren entsprechenden Merkmalen überblicksartig vorgestellt. Eine detaillierte Beschreibung von DigiTAMM kann bei den Autoren angefragt werden bzw. ist in den Hochschulschriften der Technischen Hochschule Mittelhessen veröffentlicht [10].

ERP Information 4/2024, Sames/Leyh, Tabelle 1: Kategorie Produkte

Tabelle 1: Kategorie Produkte

Tabelle 2: Kategorie Produktion

Kategorie Produkte

Die Kategorie Produkte des „Werkzeugkasten Industrie 4.0“ [9] wurde für DigiTAMM erweitert (siehe Tabelle 1) und unterstützt die Ideengenerierung bei der Entwicklung innovativer Industrie 4.0-Produkte. Die zentrale Frage lautet: Wie können mithilfe von Industrie 4.0 neue Produkte entwickelt oder bestehende weiterentwickelt werden, um potenziellen Kunden einen Mehrwert zu bieten?

Kategorie Produktion

Die zweite Kategorie von DigiTAMM basiert ebenfalls auf dem „Werkzeugkasten Industrie 4.0“ des VDMA [9] und konzentriert sich auf Optimierungspotenziale in der Produktion. Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Frage, wie mithilfe von Industrie 4.0 Produktionsabläufe verbessert und Kosten gesenkt werden können. Um die Produktion umfassender abzubilden, wurden die Merkmale Werkzeugmanagement und Instandhaltung als Erweiterung dieser Kategorie in DigiTAMM integriert (siehe Tabelle 2).

ERP Information 4/2024 Sames/Leyh, Tabelle 3: Kategorie IT-Prozesse und Organisation

Tabelle 3: Kategorie IT-Organisation und Prozesse

ERP Information 4/2024 Sames/Leyh, Tabelle 4: Kategorie Mitarbeiter

Tabelle 4: Kategorie Mitarbeiter

Kategorie IT-Organisation und Prozesse

Industrie 4.0 und Digitalisierung werden auch durch die strategische Einbettung im Unternehmen geprägt. Dabei ist es wichtig, welche Informationssysteme eingesetzt werden. Weitere Merkmale dieser Kategorie beschreiben die Ausprägungen elementarer Prozesse, die in den meisten Unternehmen vorkommen, wie der Beschaffungsprozess, der Kundenauftragsabwicklungsprozess und die Abwicklung von Fertigungsaufträgen (siehe Tabelle 3).

Kategorie Mitarbeiter (MA)

Mit zunehmender Digitalisierung verändert sich das Tätigkeitsspektrum der Mitarbeitenden. Rollen entwickeln sich weiter und Tätigkeiten werden inhaltlich angereichert. DigiTAMM berücksichtigt dabei die Verschiebung von Qualifikationen, um den neuen Anforderungen der Digitalen Transformation gerecht zu werden. Auch die veränderte Arbeitsteilung in der Fertigung und die technologische Unterstützung in der Montage werden als wesentliche Merkmale dieser Kategorie betrachtet. Der Fokus liegt stets auf den Mitarbeitenden und ihrer Fähigkeit, sich an die digitalen Veränderungen anzupassen und diese aktiv mitzugestalten (siehe Tabelle 4).

ERP Information 4/2024 Sames/Leyh, Tabelle 5: IT-Sicherheit

Tabelle 5: Kategorie IT-Sicherheit

Kategorie IT-Sicherheit

Die zunehmende Vernetzung bei Industrie 4.0 und Digitalisierung zwischen den Teilnehmenden der Wertschöpfungskette sowie die Verbindung von Office-IT und Fertigungs-IT birgt Risiken. Diese gilt es abzusichern. Es ist entscheidend, dass sowohl die Unternehmensleitung als auch die Mitarbeitenden ein Bewusstsein für IT-Sicherheit entwickeln. Regelmäßige Prüfungen und Audits der IT-Sicherheitsmaßnahmen sind unerlässlich, um Schwachstellen frühzeitig zu erkennen und zu beheben. Zudem muss klar festgelegt werden, wer innerhalb des Unternehmens für die IT-Sicherheit verantwortlich ist, um eine effektive Um-setzung und Überwachung der Sicherheitsstrategien zu gewährleisten. DigiTAMM berücksichtigt diese Aspekte, um eine ganzheitliche IT-Sicherheitskultur im Unternehmen zu fördern (siehe Tabelle 5).

Fazit

Aufbauend auf dem VDMA-Werkzeugkasten Industrie 4.0, der die Kategorien Produkte und Produktion umfasst, wurde mit DigiTAMM eine umfassende Weiterentwicklung vorgenommen. DigiTAMM erweitert diesen Rahmen um die zusätzlichen Kategorien IT-Organisation und Prozesse, Mitarbeiter und IT-Sicherheit. Jede Kategorie ist durch spezifische Merkmale beschrieben, die in fünf Ausprägungsstufen im Unternehmen vorliegen können, von einem niedrigen bis zu einem hohen Digitalisierungsgrad. Die vollständige Beschreibung aller Kategorien und Merkmale stellen die Autoren des Beitrages gerne zur Verfügung. Alternativ kann darauf auch über die Hochschulschriften der Technischen Hochschule Mittelhessen zugegriffen werden [10].

Die durch DigiTAMM gebotene strukturierte Herangehensweise ermöglicht es Unternehmen, ihren aktuellen Stand der Digitalisierung und Industrie 4.0 adäquat zu bestimmen. Es bietet eine klare Ordnungsstruktur und unterstützt Unternehmen dabei, komplexe Aspekte der Digitalen Transformation zu verstehen und zu bewerten. Durch die Anwendung von DigiTAMM können Unternehmen gezielt ihre digitalen Kompetenzen erfassen und darauf aufbauend auch verbessern. Dies ist entscheidend, um den Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Wirtschaftsumgebung erfolgreich zu begegnen und die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern. Das Kennen des eigenen Digitalisierungsstandes bildet den Ausgangspunkt für die Identifizierung von Digitalisierungsmaßnahmen. Durch die klare Bewertung mit DigiTAMM können Unternehmen Digitalisierungsprojekte erkennen, ableiten und priorisieren, um diese in die eigenen strategischen Ziele zu integrieren.

Literatur

[1] Mathrani, S.; Mathrani, A.; Viehland, D.: Using enterprise systems to realize digital business strategies. In: Journal of Enterprise Information Management Vol. 26, 2013, S. 363–386. https://doi.org/10.1108/JEIM-01-2012-0003
[2] Leyh, C.; Schäffer, T.: Digitale Kompetenzen als notwendige Voraussetzung der Digitalen Transformation. In: HMD
– Praxis der Wirtschaftsinformatik, Vol. 61, 2024, S. 12–26. https://doi.org/10.1365/s40702-024-01044-9
[3] Pagani, M.: Digital Business Strategy and Value Creation: Framing the Dynamic Cycle of Control Points. In: MIS Q., Vol. 37, 2013, S. 617–632.
[4] Leyh, C.; Bley, K.; Ott, M.: Chancen und Risiken der Digitalisierung: Befragungen ausgewählter KMU. In: Hofmann,
J. (ed.) Arbeit 4.0 – Digitalisierung, IT und Arbeit (HMD Edition). Springer, Wiesbaden, 2018, S. 29–51. https://doi. org/10.1007/978-3-658-21359-6_3
[5] Sames, G.; Lapa, J.: Stand der Digitalisierung von Geschäftsmodellen zu Industrie 4.0 im Mittelstand – Ergebnisse einer Umfrage bei Unternehmen. In: THM Hochschulschriften, Band 13, 2020. http://dx.doi.org/10.25716/thm-106
[6] Sames, G.; Maibach, T.: Vergleich der Digitalisierung von Geschäftsprozessen und Geschäftsmodellen in Japan und Deutschland. In: THM Hochschulschriften, Band 26, 2023. http://dx.doi.org/10.25716/thm-248
[7] BMWK: Digitalisierung der Wirtschaft in Deutschland – Digitalisierungsindex 2023. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), Berlin, 2024.
[8] Sames, G.: Reifegradmodell zur Digitalisierung und Industrie 4.0. In: THM-Hochschulschriften, Band 18, 2021. https://
dx. doi.org/10.25716/thm-39
[9] VDMA: Leitfaden Industrie 4.0. Orientierungshilfe zur Einführung in den Mittelstand. VDMA Verlag, Frankfurt a. M., 2015.
[10] Sames, G.; Leyh, C.: DigiTAMM – Digital Transformation Assessment Maturity Model: Ein Reifegradmodell zur Einschätzung des Digitalisierungsstands in Industrieunternehmen. In: THM Hochschulschriften, Band 32, 2024. http://dx.doi.org/10.25716/thm-302

ERP Information 4/2024 Autorenfoto Prof. Sames

Prof. Dr.-Ing. Gerrit Sames ist Dekan und Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt ERP-Systeme am Fachbereich Wirtschaft der Technischen Hochschule Mittelhessen. Dort leitet er den Schwerpunkt Digital Business. Zusätzlich beschäftigt er sich mit der Weiterentwicklung von Digitalisierungslösungen und ist zweiter Vorsitzender im Vorstand des Smart Electronic Factory e. V.

ERP Information 4/2024 Sames/Leyh, Autorenfoto Prof. Leyh

Prof. Dr. Christian Leyh ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt ERP-Systeme und Business Analytics am Fachbereich Wirtschaft der Technischen Hochschule Mittelhessen. Seine Forschungsinteressen umfassen die vielfältigen und komplexen Themenfelder der Digitalen Transformation, wobei er sich besonders den Herausforderungen von Digitalisierungsprojekten für klein- und mittelständische Unternehmen widmet.

Prof. Dr. Christian Leyh
Professor für Allg. BWL mit Schwerpunkt ERP-Systeme und Business Analytics
Fachbereich Wirtschaft/THM Business School
Technische Hochschule Mittelhessen
Wiesenstr. 14, 35390 Gießen
E-Mail: christian.leyh@w.thm.de
https://www.thm.de/w/christian-leyh